Das Dornenhaus
aber wie willst du von diesem mageren Gehalt in Sydney leben, wo du kein Zuhause mehr hast und niemanden kennst? Du bist schrecklich jung, um auf eigenen Füßen zu stehen, ich weiß nicht, ob ich das erlauben kann.«
»Ich bin fast achtzehn, Tante Harriet. Du kannst mich nicht zwingen, hier zu bleiben, und es ist eine einmalige Gelegenheit. Ich werde mir mit einem anderen Mädchen eine Wohnung teilen, oder ich könnte vielleicht auch vorübergehend bei Mrs. Bramble unterkommen.« Odette blieb ruhig und vernünftig, was Tante Harriet mehr den Wind aus den Segeln nahm als jede hitzige Debatte.
»Gut, ich komme mit dir, um zu sehen, dass du ordentlich und sicher untergebracht wirst.«
»Ich brauche keine Anstandsdame, Tante Harriet.«
»Lass mich wenigstens einigen meiner Familienpflichten nachkommen, Odette. Es ist doch nicht zu viel verlangt, dass ich dich begleite, da du mich oder Amberville ja wohl kaum in dein neues Leben einbeziehen wirst.«
Tante Harriet sah grimmig und verärgert aus mit ihrem zu einem dünnen, verbitterten Strich zusammengekniffenen Mund. Traurigerweise war sie einer jener Menschen, deren äußeres Auftreten tief sitzende Gefühle verbarg, die verleugnet und selten anerkannt wurden. Das, woran ihr am meisten lag – Zuneigung von Odette –, konnte sie nur von sich weisen.
Odette seufzte und hatte ein schlechtes Gewissen. Sie wusste, wie zutreffend die Worte ihrer Tante waren. Tante Harriet und diese kleine Stadt würden nicht vergessen werden, aber zu ihrer Vergangenheit gehören. Sie holte Luft und bemühte sich, ihrer Stimme einen warmen Klang zu geben.
»Ich bin dankbar für alles, was du für mich getan hast, Tante Harriet, versteh mich nicht falsch. Komm mit, wenn du willst, aber ich glaube, es wird am Anfang ein bisschen hektisch sein. Es wäre bestimmt netter für dich, mich zu besuchen, wenn ich eine Wohnung gefunden habe und eingezogen bin.«
Harriets Laune hob sich. »Dich besuchen? Tja, ich glaube, ich könnte schon mal nach Sydney kommen. Und es wäre nett, die Brambles wiederzusehen.«
Sie eilte geschäftig davon, und Odette sah sich in dem kleinen, ordentlichen Wohnzimmer um, betrachtete die dreiteilige Couchgarnitur mit dem Blumenmuster, den klobigen Radioapparat mit den Glasschränkchen zu beiden Seiten, in denen die guten Sherrygläser standen, die gerahmten Drucke an den Wänden, zwei jagende Hunde, ein Rosenstrauß und ein Seestück.
In diesem Raum hatte sie nur wenig Zeit verbracht, und Odette bezweifelte, dass sie ihn vermissen oder sich später an ihn erinnern würde. Die Jahre mit Tante Harriet kamen ihr jetzt wie eine an einer bequemen Bushaltestelle verbrachte Wartezeit vor, in Gesellschaft einer Fremden, die sie vielleicht nie wiedersehen würde. Aber sie würde Tante Harriet zu einem Besuch einladen, dachte Odette. Jetzt, wo sie ihr Leben eine positive Richtung annehmen sah, konnte sich Odette großzügigere Gefühle gegenüber ihrer unbeugsamen Tante erlauben, die in der engen Welt von Amberville gefangen war.
Odette wurde ganz aufgeregt. Es stieg von den Zehen hoch, und sie breitete die Arme aus und tanzte durch den Raum.
»Und mit das Erste, was ich tun werde, ist … Zanana besuchen!«
Kapitel elf
Zanana 1917
K ate saß im Schatten einer ausladenden Zeder in der Nähe des versunkenen Gartens, ein Schreibpult aus Walnussholz auf den Knien. Konzentriert führte sie die letzten Pinselstriche eines zarten Aquarells aus, das sie von dieser friedvollen Ecke der Gärten gemalt hatte. Es war nur ein kleines Bild, aber es fing die Heiterkeit und Schönheit des plätschernden Springbrunnens ein, eines Vogels, der aus dem Becken trank, und der sich sanft in der Brise wiegenden Blumen. Sie richtete sich auf und träumte eine Weile vor sich hin, während das Bild in der mittäglichen Hitze trocknete. Wie weit weg dieser ›große‹ Krieg zu sein schien. Sie vermisste Harolds kräftige Gestalt und seine fröhliche Stimme. Und sie wusste, wie einsam sich auch Gladys fühlte, besonders nachts allein in ihrem Ehebett. Aber tagsüber gab es genug zu tun, und Gladys und die Johnsons beteiligten sich eifrig an den Kriegsanstrengungen vor Ort.
Sid war immer noch verbittert darüber, dass man ihn aus gesundheitlichen Gründen abgelehnt hatte, und er arbeitete unermüdlich bis zur physischen Erschöpfung, um zu beweisen, dass er kerngesund war. Nettie verbrachte viel Zeit mit Gladys, die froh war über ihre Gesellschaft. Ben arbeitete an der Seite seines Vaters.
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