Das Dornenhaus
Ausdruck, wieder zu Hause zu sein. Überall auf dem Bahnsteig wurden die Willkommensbanner hochgehalten, und die Kapelle spielte ein schneidiges »Heil den siegreichen Helden«.
Aber das Lächeln verschwand, und das Lachen verstummte, als die Türen aufflogen und die Unverletzten ihren Kameraden aus dem Zug halfen. Bandagiert und an Krücken humpelnd, stützten sie sich aufeinander, so wie sie sich aufeinander verlassen hatten während der Zeit, die sie für immer verändert hatte. Die Jungs waren zu Männern geworden, dünner und älter, und alle hatten zu viel gesehen. Die Kriegserlebnisse hatten sie zusammengeschweißt, hatten eine Barriere errichtet, die für den Rest ihres Lebens all diejenigen ausschloss, Männer und Frauen, die nicht daran teilgenommen hatten. Viele der Heimkehrer hatten sich so verändert, dass sie sich ihrem früheren Leben nicht mehr anpassen konnten. Jungen, die mit frischen Gesichtern und gesunden Körpern in den Krieg gezogen waren, hatten jetzt dem Land, für das sie gekämpft hatten, wenig zu bieten – keine Fähigkeiten, keine Ausbildung, keinen Beruf.
Aber trotzdem überwog in diesem Moment die Freude. Als der Zug sich leerte, waren Entzückensschreie zu hören, man umarmte sich, Tränen flossen, und es wurde gelacht. Bald lagen sich alle in den Armen und schüttelten einander die Hände, junge Männer küssten unbekannte Mädchen und wurden bereitwillig zurückgeküsst.
Arme schlangen sich fest um Kate. Sie drehte sich um und hatte einen lächelnden Hector Dashford vor sich.
»Du bist gekommen, um mich abzuholen! Deine Briefe waren wunderbar. Vielen Dank, Kate.«
Sie zog sich überrascht zurück. »Ich bin gekommen, um alle willkommen zu heißen, Hector. Du siehst gut aus in deiner Uniform.«
Er stellte sich in Pose, um sich bewundern zu lassen. »Bin froh, wieder hier zu sein, muss ich sagen. Hast du gehört, dass ich eine Auszeichnung bekommen habe? Wurde ins Hauptquartier der Brigade versetzt. Ich wünschte nur, das wäre eher geschehen, an der Front zu sein war kein Spaß. Oh, ach ja, es tut mir leid, das von deinem Vater zu hören.«
»Danke. Deine Familie wird sicher schon nach dir Ausschau halten, Hector. Willkommen zu Hause.« Kate entfernte sich, bevor Hector fortfahren konnte. Sein prahlerischer Ton gefiel ihr nicht.
Sie drängte sich durch die Menge und entdeckte Sid und Nettie Johnson, deren Blick ängstlich über die Gesichter der vielen Menschen wanderte, nachdem nun die Türen des Zuges geschlossen wurden und der Stationsvorsteher »Bitte Einsteigen« rief und in seine Pfeife blies.
»Nichts von Ben zu sehen, Mr. Johnson?«
»Nein, Kate. Jemand sagte uns, es wären noch längst nicht alle Soldaten repatriiert. Kann wohl noch ein paar Tage dauern.« Sid sah niedergeschlagen aus. Nettie zerknüllte ein Spitzentaschentuch in der Hand. Sie trug ihr bestes Sommerkleid, dazu ihren Lieblingshut mit der schwungvollen Feder und dem kleinen Schleier. Kate hatte tiefes Mitgefühl mit dem freundlichen Paar.
»Er wird zu Hause sein, ehe Sie sich’s versehen. Ich freue mich auch schon auf ihn.«
Kate schloss sich wieder Gladys und Hock Lee an. Sie zog ihren Patenonkel beiseite und redete leise mit ihm. Hock Lee beugte sich vor, denn er musste sich anstrengen, um sie bei all dem fröhlichen Lärm ringsherum verstehen zu können.
»Was meinst du, Hock Lee? Ich habe noch nicht alles durchdacht, aber ich wollte schon mal die Saat pflanzen und sehen, was du dazu sagst und wie ich es machen könnte.«
»Darüber muss man sehr genau nachdenken, Kate. Hier ist nicht der richtige Ort, um darüber zu sprechen. Ich werde in ein paar Tagen nach Zanana kommen, dann können wir ausführlich darüber reden.« Er umarmte sie kurz und wurde dann von der Menge mitgezogen, die zu den Festlichkeiten strömte und sich die Willkommensreden anhören wollte.
Kate grübelte über die Idee nach, die in ihrem Kopf Gestalt annahm. Entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit hatte sie mit Gladys nicht darüber gesprochen und sehnte sich zum ersten Mal danach, mit ihrer leiblichen Mutter reden zu können.
Welche Träume hatte Catherine MacIntyre für Zanana gehabt? Kate wusste, dass ihre Mutter kein Veilchen gewesen war, das im Verborgenen blühte, und im Gegensatz zu vielen anderen viktorianischen Damen ihre eigenen Ansichten gehabt hatte.
Gladys Butterworth hatte Kate von Catherines Wirken für das Waisenhaus erzählt und auch davon, dass sie vor Kates Geburt ein kleines Mädchen adoptiert
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