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Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
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hatte.
    Viele Fragen gingen Kate durch den Kopf. Was war mit dem Mädchen geschehen? Und warum hatte ihr Vater sie weggeschickt? Plötzlich brannte sie darauf, Hock Lee all diese Fragen zu stellen. Als engster Freund ihres Vaters wusste er sicher mehr als Mrs. Butterworth. Zum ersten Mal begann Kate, nun eine junge Frau von achtzehn Jahren, sich der Verantwortung und der Rolle bewusst zu werden, die ihr für die zukünftige Entwicklung von Zanana zufielen. Der Gedanke nagte mehrere Tage an ihr.
    Verwirrt und traurig schritt sie durch das violette Licht des Gewächshauses, das angefüllt war mit Usambaraveilchen und wilden Orchideen, die Robert und Catherine MacIntyre gezüchtet hatten. Es kam ihr wie ein Tunnel vor, der in die Frühzeiten von Zanana zurückführte. Sie trat ins Tageslicht hinaus und ging mit festen Schritten am versunkenen Garten und den Rosenterrassen vorbei zum indischen Haus.
    Sie ging langsamer, schlüpfte mit einem Gefühl der Vorahnung aus ihren Schuhen und fröstelte, als sie den kalten Marmorboden berührte. Das Innere des Hauses war von dämmrigem, sanftem Licht erfüllt, und ein schwacher Sandelholzduft lag in der Luft. Kate legte sich auf das erhöhte Bett und schaute durch halb geschlossene Lider zu den Juwelensternen und den kleinen Spiegeln hinauf.
    Als würde eine Decke über sie fallen, kehrte Frieden in sie ein, ihre Augen schlossen sich, und ihr Atem wurde langsamer. Sie versank allmählich in die innersten Tiefen ihrer selbst, und Stille umschloss sie. Beim Öffnen ihrer Augen merkte sie, dass sie lächelte und von Zufriedenheit erfüllt war. Sie streckte sich und glitt vom Bett herunter. Ohne sich sonderlich zu beeilen, ging sie durch die Gärten zurück. Jetzt hatte sie einen genauen Plan und wusste, dass ihre Mutter Catherine dem zustimmen würde.
    Als sie ins Haupthaus zurückkam, herrschte große Aufregung, denn Wally Simpson war gekommen. Hock Lee hatte den Verwundeten mit seinem Rover vom Bahnhof abgeholt, wo täglich Männer zu zweit oder zu dritt ankamen, nachdem sie aus der Armee entlassen worden waren.
    Kate war, genau wie Gladys, entsetzt darüber, wie gebrechlich und alt Wally aussah. Sein einer Arm war bandagiert und hing in einer Schlinge, Hüfte und Bein waren immer noch zerschmettert und unbrauchbar. Er lehnte sich schwer auf eine Krücke.
    »Kate …? Bist du das? Du siehst so erwachsen aus.«
    Kate umarmte ihn, konnte kaum sprechen.
    Mit erstickter, kummervoller Stimme erzählte er Kate und Gladys von Harolds Tod. »Ich dachte, wir würden es beide schaffen. Das dachte ich wirklich. Ich war bei ihm. Es ging sehr schnell.«
    »Immer ruhig, Wally. Ganz ruhig.« Gladys Butterworth tätschelte seine Schulter.
    Nach dem Essen später am Abend, als Sid und Nettie Johnson herübergekommen waren, überreichte Wally Gladys die persönlichen Erinnerungsstücke, die er bei Harolds Tod aus dessen Jacke genommen hatte. Schweigend breitete Gladys Kates Aquarell vom Rosengarten, die Briefe und Fotos und Harolds unbeendeten Brief an sie auf dem Küchentisch aus.
    Als Kate nach ihrem Aquarell griff, räusperte sich Wally. »Es … ähm … hat ein bisschen gelitten … der Schlamm. Er hatte das Bild sehr gern. Sagte, es würde ihn jedes Mal, wenn er es anschaute, zurück nach Hause bringen.«
    Tränen tropften Kate aus den Augen. Wally griff nach ihrer Hand und streichelte sie. »Wein nicht, Liebes. Bei Gott, er fehlt mir auch.«
    »Danke, Onkel Wally. Für alles.«
    Gladys nahm Harolds unbeendeten Brief in die Hand und las ihn durch. Sie fuhr sich mit der Hand über die Augen und gab Kate den Brief. Harold schrieb ihr, wie selbstlos Ben den Verwundeten aus dem Niemandsland gerettet und wie feige sich Hector verhalten hatte.
    … Ich nehme an, er hat von dem dauernden Artilleriebeschuss einen Koller gekriegt. Ich habe nie jemanden so starr vor Angst gesehen. Er erreichte die Gräben in dem Moment, als Ben den Verwundeten über die Brustwehr hievte und dabei getroffen wurde, und in dem ganzen Durcheinander sah es so aus, als hätte Hector sie beide reingebracht. Ein Offizier, der erst jetzt dazukam, deutete das alles falsch, und während der arme Ben und der Mann, den er gerettet hatte, in den Sanitätsunterstand gebracht wurden, gratulierte dieser Offizier Hector, der nichts dazu sagte. Ich wollte mich erst überzeugen, dass es Ben gut ging, aber ich werde dafür sorgen, dass bekannt wird, wer der eigentliche Held ist …
    »Harold ist nicht mehr dazu gekommen, die Sache

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