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Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
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sinken und saß ganz still da. Sie schloss die Augen, und allmählich, wie den ersten sanften Hauch einer Brise, nahm sie den Duft der Rosen wahr. Sie wurde in die Kindheit zurückversetzt. Die Erinnerungen an Zanana strömten auf sie ein. Würde es wie damals sein?
    Die Wirklichkeit stimmte mit der Erinnerung überein. Der durchhängende Anlegesteg und das schiefe Bootshaus, der raschelnde Bambushain, die Terrassen, der versunkene Garten, das leere Sandstein-Schwimmbecken und die überwachsene Grotte.
    Odette hatte das Boot vertäut und durchquerte langsam das Gestrüpp am Flussufer, dabei blieb sie immer wieder stehen, um die vertraute Umgebung in sich aufzunehmen. Alles war friedvoll und ruhig. Eine seltsame Stille, als ob man sich einen Film ohne Ton anschaute. Sie bog ab und ging zum Rosengarten. Die Rosenbüsche hatten überlebt und waren zu einem dornigen Gestrüpp über einem Teppich aus herabgefallenen Blütenblättern verwachsen.
    Sie ging an den Ställen vorbei zum Verwalterhaus, das unter dicken Eichen in der Nähe des Wagenschuppens lag. Sofort erkannte sie, dass es leer stand – staubige Fenster, ein Vorhängeschloss an der Tür und überall hohes Unkraut. Niedergeschlagen wanderte sie herum und beschloss, zur Molkerei zu gehen. Von der obersten Gartenterrasse aus konnte sie die offenen Gehege der Farm und die niedrigen roten Ziegelsteingebäude der Molkerei sehen. Es sah alles leblos aus, aber plötzlich kam eine Gestalt aus der Tür der Molkerei und ging nach hinten zum Melkschuppen. Odette lief den Abhang hinunter.
    Sie traf auf einen Mann mittleren Alters in Overall und Gummistiefeln. Er trug eine altmodische Sense auf den mit Unkraut überwachsenen Hof. »Hallo«, rief Odette.
    Der Mann zuckte zusammen, drehte sich erstaunt um, beschattete die Augen mit der Hand und sah ihr entgegen. »Wer sind Sie? Wie sind Sie hier reingekommen? Sie haben mich ganz schön erschreckt«, beschwerte er sich in nörgelndem Ton.
    »Ich bin nur zu Besuch … eigentlich bin ich auf der Suche nach einem Freund … dem Verwalter und seinem Sohn …«
    »Die sind vor zwei Jahren weggezogen.«
    »Ach. Und wohin? Arbeiten Sie jetzt hier?«
    »Keine Ahnung, wohin. Ich werde nur dafür bezahlt, dass ich alle zwei Wochen herkomme und das Gras und das Unkraut mähe. Hat aber nicht viel Zweck.«
    Er hantierte mit der Sense und einem Wetzstein herum. »Was passiert mit dem Ganzen hier? Wem gehört es?«
    »Hab nicht die geringste Ahnung.«
    »Wer hat Sie denn angestellt?«
    »Hab den Job durch ein Anwaltsbüro in der Stadt gekriegt. Sie sind aber ganz schön neugierig, was?«
    »Tut mir leid. Ich bin früher öfter hier gewesen, als ich ein Kind war. Ich war mit dem Sohn des Verwalters befreundet, bin dann weggezogen und jetzt wieder hier und wollte einfach wissen …«
    »Das verfällt hier doch alles. Viel zu groß heutzutage für eine Familie. Sollte abgerissen werden, um Platz für Häuser zu schaffen, die sich gewöhnliche Leute leisten können.«
    Es hätte keinen Zweck gehabt, ihm zu widersprechen, das wusste Odette. Zwecklos auch, ihm erklären zu wollen, dass Zanana zur Geschichte gehörte und dass seine Schönheit und Pracht erhalten werden müssten.
    »Sie haben doch nichts dagegen, wenn ich mich ein bisschen umschaue?«
    »Nein. Aber passen Sie auf.«
    »Das werde ich. Vielen Dank.« Sie ging weg und wanderte über das Grundstück, bis sie zum indischen Haus kam.
    Blätter waren auf die Stufen geweht, die kunstvollen Fenster waren verschmutzt von Staub und Regenflecken. Das Haus sah verloren und leer aus. Odette rüttelte an der Tür. Sie war unverschlossen, widerstand aber zunächst ihren Bemühungen, sie zu öffnen. Dann gab sie schließlich mit einem Quietschen nach und öffnete sich knarrend. Odette trat in das dämmrige Innere. Heute gab es kein fröhliches Spiel von Licht und Schatten in der kühlen Düsternis. Stattdessen schienen eine Atmosphäre der Melancholie und ein modriger Geruch den kleinen Raum zu erfüllen. Überall hingen Spinnweben. Odette blieb stehen, um das alles in sich aufzunehmen, und wurde des schwachen Sandelholzgeruchs gewahr. Er rührte Erinnerungen und Gefühle an. Sie ging zu dem alten Vierpfostenbett, setzte sich auf das hölzerne Podest und schaute nach oben. Der edelsteinbesetzte Baldachin war immer noch intakt, aber mit Spinnweben behangen.
    Sie war unendlich traurig, dass der Verwalter und sein Sohn nicht mehr in Zanana lebten, und wunderte sich, warum sie das so bedrückte.

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