Das Dornenhaus
gestanden viele der Männer, dass es die beste Zeit ihres Lebens gewesen war.
Kate teilte ihre Gefühle niemandem mit und sprach auch nicht über sich. Gladys Butterworth war voll beschäftigt mit der täglichen Organisation der Mahlzeiten, dem Dienstplan und der Überwachung der freiwilligen Helfer. Wally unterstützte Sid Johnson bei der Leitung der Farm und half in der Villa und auf dem Grundstück aus. Ihre emsige Tätigkeit ließ Gladys und Wally kaum Zeit, über den Verlust der von ihnen geliebten Menschen nachzudenken oder sich zu allein zu fühlen. In der nächtlichen Abgeschiedenheit mussten sie beide mit ihrem Schmerz und ihrer Trauer fertig werden, aber mit dem Beginn des neuen Tages fühlten sie sich gebraucht und anerkannt und waren froh, anderen helfen zu können.
Immer empfindsam für die Stimmungen seiner Patentochter, bemerkte Hock Lee Kates Anfälle von Betrübtheit und Ruhelosigkeit. Eines Tages schlug er ihr vor, einen Spaziergang durch den Garten zu machen, und sie ließen sich im Schatten eines Baumes auf Catherines Lieblingsbank nieder.
Kate schlüpfte aus ihren Schuhen und wackelte mit den Zehen in den hellen Seidenstrümpfen.
Hock Lee griff nach ihrer Hand und betrachtete ihre Handfläche.
»Was siehst du?«, fragte sie beiläufig.
»Fragen«, erwiderte Hock Lee in ernsthaftem Ton.
»Oh«, entfuhr es Kate überrascht.
»Erzähl mir von deinen Gefühlen, Kate, oder sag mir, welche Wünsche du hast – falls du sie überhaupt kennst. Ich spüre, dass dich etwas bedrückt.«
Sie dachte kurz nach und seufzte dann tief auf. »Ich weiß nicht genau, was mit mir los ist. Es ist, als würde ich morgens aufwachen, und Traumfetzen würden verblassen, die ich nicht mehr greifen kann, bevor sie verschwinden. Ich habe das Gefühl, dass ich etwas wissen sollte oder dass etwas passieren müsste oder dass ich etwas tun sollte, aber ich weiß nicht, was.«
»Du bist wie ein kleiner Vogel in einem Bambuskäfig, der gegen die Stäbe flattert und nicht entkommen kann. Du sehnst dich danach, dass sich die Tür öffnet und du frei sein kannst, deine Flügel ausbreiten und davonfliegen kannst.«
»Ja, ja. Genau dieses Gefühl habe ich. Du bist eine weise alte Eule, Hock Lee.«
»Kate, meine kleine Taube. Es mag grausam sein, aber manche Vögel sind für den Käfig bestimmt. Sie singen und singen in der Sicherheit ihrer kleinen Welt, doch wenn man sie freilässt, schickt man sie in den Tod. Sie können sich nicht verteidigen, sind den wilden Vögeln schutzlos ausgeliefert.«
»Willst du damit sagen, dass Zanana mein Käfig ist?«
»In gewisser Weise ja, denn es ist dein Erbe, und deine Zukunft liegt hier. Kate, mein liebes Kind, du sehnst dich nach Liebe. Du wirst geliebt, und du liebst uns, aber es kommt eine Zeit, in der die Liebe zwischen Mann und Frau an oberster Stelle im Leben steht.«
Kate zog ihre Hand zurück und verschränkte beide Hände schüchtern in ihrem Schoß. »Ich hatte nicht so … direkt daran gedacht. Aber du hast wohl Recht. Wie immer, Hock Lee. Und was soll ich nun machen?«
»Mach dir keine Sorgen darüber, was sein wird. Unser Schicksal ist bereits vorausbestimmt, also können wir es nicht ändern. Er wird dir schon über den Weg laufen, wenn die Zeit gekommen ist.«
»Ich glaube, er ist mir schon über den Weg gelaufen«, sagte sie leise, und eine leichte Röte stieg ihr in die Wangen.
Hock Lee lächelte. Er hatte so eine Ahnung, wen seine Patentochter meinte, aber er sagte nichts. Stattdessen stand er auf und schnippte ein herabgefallenes Blatt von seinem dunkelgrauen Wollanzug, dessen strenger Stil durch die auffällige Weste aus chinesischer Seide gemildert wurde.
Als er Kate aufhalf, sagte er: »Da ist noch etwas anderes, das du bedenken musst, Kate. Du wirst bald volljährig und bekommst dann formell die Verfügungsgewalt über dein Erbe. Du wirst die Herrin von Zanana sein und als solche eine sehr wichtige Dame der Gesellschaft. Es könnte eine Bürde für dich sein, und du musst sorgfältig die Menschen prüfen, die um dich werben mögen und auf irgendeine Weise an deinem Leben teilhaben möchten.«
Sie lachte leise. »Keine Bange, Hock Lee. Mum warnt mich seit Monaten vor Glücksrittern. Außerdem habe ich dich und diese muffigen Treuhänder, die mir über die Schulter schauen.«
Er fiel in ihr Lachen ein. »Ich hoffe, es macht dir nichts aus, dass ich dir über die Schulter schaue, aber die verknöcherten alten Treuhänder und Mr. Dashford sind zweifellos
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