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Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
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Schule, ihren Freunden, ihrer Liebe zu Büchern und zum Schreiben ihrer eigenen Geschichten. Odette redete und redete, wie sie es nie zuvor getan hatte, und fand ein wenig Erleichterung und Trost darin, dieser freundlichen Seele von dem glücklichen Leben zu erzählen, das sie mit ihren Eltern geführt hatte. Erschrocken stellte sie fest, dass sie sogar lustige Anekdoten von ihnen erzählen und mit Mrs. Bramble darüber lächeln konnte. Auf diese Weise schienen Ralph und Sheila immer noch bei ihr zu sein, wirklich und lebendig, als seien sie nur in Urlaub gefahren.
    Mrs. Bramble ließ das Mädchen erzählen, weil sie erkannte, wie sehr sie sich einen Teil ihres Kummers von der Seele reden musste. Sie erkannte ebenfalls, was für ein behütetes und liebevolles Leben Odette gehabt hatte und welche gewaltige Umstellung ihr neues Leben für sie sein würde.
     
    Tante Harriet traf ein, als ihre Nichte in der Schule war. Odette hatte es vorgezogen, wie gewöhnlich zur Schule zu gehen, statt sich in der leeren Hülle ihres vorherigen Lebens treiben zu lassen, aber sie blieb für sich, mochte nicht bemitleidet werden. Geflüster verstummte, wenn sie vorbeiging, und geschwätzige Freunde wurden plötzlich verlegen und hatten wenig zu sagen.
    Odette wollte nicht mit dem Schulbus nach Hause fahren und ging zur Bushaltestelle, setzte sich und wartete auf den Linienbus. Eine Frau mit vielen überquellenden Einkaufsnetzen war froh über ihre Gesellschaft.
    »Hast den Schulbus verpasst, was, Kleine? Wie weit musst du fahren?«
    »Bis zur River Street.«
    »Oh, das ist ein hübscher Stadtteil. Ich wohne oben auf dem Hügel. Zu viele Stufen für meinen Geschmack. Besonders mit den Einkäufen. Aber ein hübscher Blick auf den Fluss. Deswegen haben wir es auch eigentlich gekauft. Wegen des Blicks. Der Fluss sieht so schön aus von da oben.« Die Dame verstummte. »Schrecklich, dieser Unfall neulich abends auf dem Fluss. Das arme Paar, das da ertrunken ist. Hatten auch ein kleines Mädchen, glaube ich. Kennst du sie?«
    Odette schüttelte den Kopf und versuchte, gleichgültig zu wirken, ganz entsetzt bei dem Gedanken, dass man sie als das arme kleine Mädchen erkennen könnte. »Also wirklich. Ich hab zu meinem George gesagt, was für eine dumme Sache. An einem solchen Tag angeln zu gehen. Man kann dem Fluss nicht trauen. Ganz schön gefährlich an manchen Stellen.«
    Odette gelang es aufzustehen. »Es hat nicht geregnet, als sie losfuhren«, sagte sie mit gepresster Stimme. »Ich muss jetzt gehen.« Sie drehte sich um und ging weg. Die Frau rief ihr nach: »Willst du nicht auf den Bus warten. Der muss jetzt jeden Moment kommen …«
    »Wie kommt das Kind damit zurecht, Mrs. Bramble?«, fragte Tante Harriet, während die beiden Frauen auf die Ankunft des Schulbusses warteten.
    »Eigentlich ganz gut. Obwohl ich bezweifle, dass sie es schon richtig begriffen hat«, seufzte Mrs. Bramble. »Da ist sie ja«, fügte sie hinzu, als sie Odette die Straße entlangkommen sah, mit schlurfenden Füßen, die Augen zu Boden gerichtet.
    Als Odette näher kam, rief ihr Mrs. Bramble zu: »Odette, wir haben uns schon gewundert, wo du bleibst. Deine Tante ist hier.«
    Odette schaute von Mrs. Bramble zu der hochgewachsenen, knochigen Frau im grauen Kostüm, die die grauen Haare unter einem kleinen grauen Filzhut zu einer ordentlichen Außenrolle aufgesteckt hatte. Die Fremde öffnete die Arme und beugte sich zu Odette hinab.
    »Mein armes, armes Kind.« Ihre Arme schlossen sich um Odette, die ganz steif wurde und über die Schulter ihrer Tante starrte.
    Tante Harriet hielt sie auf Armeslänge von sich weg. »Ja, ja, ich erkenne Ralph in dir wieder. Die Augen, glaube ich. Dasselbe helle Blau.« Odette rührte sich nicht und gab keinen Laut von sich. Unbeeindruckt fuhr Tante Harriet fort: »Nun wollen wir als Erstes Gott danken, liebes Kind, und ihn bitten, sich deiner Eltern anzunehmen und uns die Kraft zu geben, unverzagt weiterzumachen.« Tante Harriet nahm Odettes Hände in die ihren, senkte den Kopf und schloss die Augen. »Vater unser, der Du bist im Himmel …«
    Mit lauter Stimme sprach Tante Harriet das gesamte Gebet, auf der Straße, direkt vor Hahns Gemischtwarenladen. Passanten wichen ihnen mit gesenktem Blick aus, zwei Mädchen in Schuluniform unterdrückten ein Kichern hinter vorgehaltener Hand, als sie vorbeieilten. Odette blieb stocksteif stehen und sah ihre Tante mit einem Gesichtsausdruck an, in dem sich Entsetzen und Belustigung

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