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Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
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und liefen geduckt durch den Regen zum Anlegesteg, an dem das Motorboot der Küstenwache lag.
    »Wollen wir hoffen, dass sie irgendwo an Land gegangen sind. Sonst stehen ihre Chancen nicht sonderlich gut.«
    »Ich fahr selbst nicht gern raus bei diesem Sturm.«
    Im Bootshaus hörte Odette vom Fenster aus den Motor anspringen. Der Suchscheinwerfer konnte die Regenwand und die Gischt der Wellen kaum durchdringen.
    Odette wandte sich ab, und eine Art Starre überkam sie. Steif setzte sie sich auf einen Stuhl und sah blicklos ins Leere.
     
    Drei Stunden später hatte der Sturm nachgelassen, und der Regen fiel nur noch in einem sanften Vorhang herab.
    Der Suchscheinwerfer eines Polizeibootes kreuzte den der Küstenwache. Beide Boote hüpften im aufgewühlten Wasser des Flusses auf und ab. Gestalten waren kurz zu sehen, während sie auf dem Boot herumliefen und Anweisungen an zwei Männer in Taucheranzügen erteilten, die ein Seil um einen entwurzelten Baum schlangen.
    Zwischen dem Treibgut, das an den Baumstamm gespült war, tauchte im bleichen Licht ein halb versunkener, leuchtend gelber Regenmantel auf.
     
    Odette saß immer noch auf dem Stuhl, die Augen geschlossen, den Kopf gebeugt, als der Polizeibeamte die Tür öffnete.
    Der junge Beamte stand tropfend im Türeingang. Das Herz war ihm schwer. Er hasste diesen Teil seines Berufes und meinte, sich nie daran gewöhnen zu können. Gott, sie war so jung. Er biss die Zähne zusammen, als er Odettes Hände sah, fest zusammengepresst und mit verschränkten Fingern.
    Der junge Mann, der an seine kleine Schwester denken musste, hockte sich vor Odette hin, hob ihre Hände hoch und löste sie sanft voneinander. Er sah sie traurig an und schüttelte den Kopf.
    Odette biss sich auf die Lippen, der Polizist nahm das zitternde Mädchen in die Arme und streichelte ihren Kopf. Es gab nichts zu sagen. Sie hatte sogar gewusst, was er ihr mitzuteilen hatte.
     
    Es wurde bald deutlich, wie eng begrenzt Sheilas und Ralphs Lebenskreis gewesen war. Nachbarn, mit denen sie höchstens Grüße über den Zaun ausgetauscht oder gelegentlich eine Tasse Tee getrunken hatten, boten ihre Hilfe an, aber sie wussten wenig von Odette und dem Leben der Barbers.
    Mrs. Bramble, die zwei Häuser weiter wohnte, nahm Odette zu sich, während Kontakt zu der einzigen lebenden Verwandten des Kindes aufgenommen wurde. Ralphs Schwester Harriet Poole lebte in Amberville, einem Landstädtchen im nördlichen New South Wales. Sie hatte eingewilligt, sofort nach Sydney zu kommen und sich um die Beerdigung zu kümmern. Sie würde dann natürlich Odette zu sich nehmen.
    »Sie klingt wie eine sehr tüchtige Frau, deine Tante Harriet«, sagte Mrs. Bramble.
    »Ich kann mich kaum an sie erinnern. Ich hab sie nur zweimal gesehen, vor einigen Jahren«, erwiderte Odette.
    »Sie wird sich um dich kümmern, keine Bange. Stell dir mal vor, wie schön es sein wird, auf dem Land zu leben.«
    »Ich will nicht von hier weg.«
    »Es ist schwer, das weiß ich. Deine Schule und deine Freunde zu verlassen. Aber … nun ja, dir bleibt keine andere Wahl, nicht wahr, Liebes?«
    Was Odette vermissen würde, waren nicht die Schule oder die Freunde oder ihr alltägliches Leben. Das gähnende Loch, das der Verlust ihrer Eltern hinterlassen hatte, würde sich niemals schließen. Sie konnte nicht einmal darüber nachdenken. Dass sie nicht mehr da waren, war unbegreiflich, sie ließ nicht zu, dass diese Tatsache in ihren Kopf eindrang. Wenn sie sich wie ein böser Wurm in ihr Bewusstsein einschleichen wollte, verdrängte sie sie.
    Stattdessen befasste sie sich verzweifelt damit, dass sie nicht mehr in der Nähe von Zanana sein würde. Das Haus am Fluss verkörperte für sich plötzlich, wenn auch unterbewusst, Zuflucht und Sicherheit. Es schien aus der Stille seiner Gärten hinter dem verschlossenen Tor nach ihr zu rufen. Odette wusste, wenn sie nur dorthin könnte, in diese verlorene und verwunschene Welt, dann wäre alles gut. Der Alptraum würde verschwinden.
    Stattdessen drohten ihr eine kleine Stadt, eine Landschule und Tante Harriet.
    Mrs. Bramble, eine mütterliche und gutherzige Frau, vernachlässigte ihre eigene Familie und versuchte nach Kräften, Odette zu trösten und abzulenken. Nach Jahren, in denen sie nur nachbarschaftliche Höflichkeiten ausgetauscht hatten, saßen sie nun am Küchentisch und redeten ausführlich miteinander, und Mrs. Bramble ermunterte Odette, den größten Teil des Erzählens zu übernehmen, von ihrer

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