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Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
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verzweigte sich in Kanäle und Zuflüsse, schwenkte wie beschwipst nach links, dann wieder nach rechts, als wolle er Fangen spielen.
    Hier war nichts von den gepflegten Ufern der Gärten von Kincaid zu sehen, kein Park mit Teichen und überfütterten Enten. Stattdessen säumten Mangrovensümpfe und Schlick die Ufer, ein tiefer Wasserlauf zog sich schnell und reißend in der Mitte hindurch. Schlick und Sand, die unter der Oberfläche dauernd in Bewegung waren, machten den Wasserlauf gefährlich für Motorboote, und die Strömung war oft zu stark für kleinere Ruderboote.
    Aber Ralph und Sheila kannten diesen Teil des Flusses gut. Mit gleichmäßigen Bewegungen ruderten sie, geschützt vor der Strömung, nahe am Ufer entlang zu der Sandbank, die zu einem tiefen Loch abfiel, wo sich gerne Fische aufhielten, besonders Flachköpfe.
    Den Nachmittag über hatten sich graue Wolken mit wässrigem Sonnenschein, plötzlichen Windböen und absoluter Windstille abgewechselt. Sheila saß über ihre Seite des kleinen Bootes gebeugt und sah hinab in die Tiefe des trüben Wassers. Alles war ruhig. Ein sterbender Fisch zuckte mit dem Schwanz und wühlte das ölige Wasser in dem Eimer neben Ralphs Füßen auf.
    Ihre Hand ruhte auf der Bootskante, mit der Handfläche nach oben, die Finger anmutig wie die einer Balletttänzerin. Eine hauchdünne Schnur an ihrem ausgestreckten Zeigefinger verband sie mit der unsichtbaren Welt unter der spiegelglatten Wasseroberfläche. Die hellgrüne Schnur war einige Zentimeter weit im Wasser zu sehen, dann verschwand sie im Nichts. Aber kein scharfer Ruck, kein Ziehen, kein vorsichtiges Nibbeln, keine Bewegung kam von dem treibenden Köder hinauf zu ihrer erwartungsvollen Hand.
    »Sie beißen nicht mehr an, was, Ralph?«
    »Nein. Es tut sich nichts. Vielleicht sollten wir zusammenpacken. Mir gefallen diese Wolken nicht. Da braut sich wohl ein kleiner Sturm zusammen.«
    »Wie du meinst, Liebster.«
    Sie holten die Angelschnüre ein und verstauten sie, dann legte Ralph die Ruder in die Rudergabeln und begann zum Hauptfluss zurückzurudern.
    Sheila knöpfte ihren gelben Regenmantel zu und sah zum Himmel hinauf. »Wird es heute früh dunkel, oder sind das Regenwolken?«
    »Könnte doch ein heftiger Sturm werden. Ich hätte es früher bemerken müssen.«
    Sheila lächelte. »Du warst zu sehr damit beschäftigt, deine Schnur zu beobachten.«
    »Wir haben’s gut gehabt, nicht wahr, Sheila?« Er lächelte sie an, und sie fragte sich kurz, ob er damit den heutigen Nachmittag meinte oder die glücklichen Jahre, die sie zusammen verbracht hatten.
    Ralph ruderte stetig, tauchte die Ruder tief ins Wasser, zog sie so kräftig wie möglich durch und brachte das kleine Boot mit jedem Schlag ein Stück vorwärts. Er wollte es Sheila nicht sagen, aber er machte sich Sorgen wegen der sich immer dunkler zusammenbrauenden Wolken und des fernen Donnergrollens.
    Ein heftiger, kalter Südwind peitschte plötzlich die Oberfläche des Flusses auf. Ralph legte sich in die Ruder und atmete tief durch.
    »Der Wind kommt von Süden, Ralph, und du ruderst gegen den Wind. Vielleicht sollten wir aufs Ufer zuhalten«, schlug Sheila mit ängstlichem Blick vor.
    »Der Wellengang wird stärker«, brüllte Ralph gegen den Wind. »Es darf uns nicht querschiffs erwischen, weil wir sehr tief im Wasser liegen.« Ralph keuchte vor Anstrengung, schneller und schneller zu rudern und gegen Wind und Wellen vorwärts zu kommen. In den unruhigen Wellen schlugen die Ruder oft ins Leere, und er verlor die Kontrolle über das kleine Boot, das sofort mit der Breitseite in den Wind schwang.
    So plötzlich, dass Sheila nach Luft schnappen musste, stürzte Regen vom Himmel herab. Ralph ruderte mit äußerster Anstrengung. Ein Knoten formte sich in seinem Bauch. Der Wind peitschte weiße Schaumkronen auf die Wellen. Sheila beugte sich vor und legte die Hände zu einem Trichter um den Mund, damit die Worte Ralph erreichten, bevor sie vom Wind weggerissen wurden. »Rutsch zur Seite und lass mich eins der Ruder nehmen. Wenn wir beide rudern, geht es leichter.«
    Er nickte, und Sheila stützte sich auf seiner Hand ab, trat vorsichtig in die Mitte des Boots und quetschte sich neben ihn auf die schmale Bank. Gemeinsam, wie sie sich allem in ihrem Leben gestellt hatten, begannen sie gegen die aufgepeitschten Wellen und den Wind anzurudern.
     
    Odette hielt inne und sah von ihrem Notizbuch auf, als sie den Donner krachen hörte. Das Licht ihrer kleinen Tischlampe

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