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Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
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dass noch etwas gesagt wurde, tauschten sie einen Blick tiefster Zuneigung und Verständnisses aus. Leise verließ Hock Lee den Raum und glaubte, dass Robert es nun wohl geschafft hätte. Er ließ endlich seine Trauer los.
    Als Hock Lees Schritte auf den Marmorstufen verklangen, ließ Robert den Kopf auf die Arme sinken und schluchzte qualvoll. »O Catherine …«
    Während der nächsten Tage, fern von der Zuflucht seines Büros, wollte Robert nur noch in Catherines Rosengarten sein. Er saß auf ihrer Bank, gab sich süßen Erinnerungen hin und schaute zurück auf die allzu kurzen Jahre, die ihnen vergönnt gewesen waren.
    Der geschützte, ummauerte Teil des Rosengartens fing die letzte Wärme der Herbstsonne ein, und eine Bourbon-Rose, eine »Souvenir de la Malmaison«, brachte eine letzte prachtvolle Knospe hervor. Robert gewöhnte sich an, den Garten jeden Tag aufzusuchen, berührte die sich allmählich entfaltende Knospe und wartete darauf, dass sie voll erblühte. Dieses kleine Ritual gab seinen Tagen einen Sinn. Das Aufblühen der Rose bekam eine Art spirituelle Bedeutung und schien eine Verbindung zu Catherine zu sein.
    Der Morgen, an dem sie sich schließlich öffnete, war still und sonnig, der Himmel strahlend blau. Die Blütenblätter schimmerten in einem herrlichen cremigen Rosaton, das schwache Erröten so zart wie eine Babywange. Robert hatte auf den Tag gewartet, an dem die letzte Rose des Sommers erblühen würde. Sie war für ihn zum Symbol für Catherines kurzes Leben geworden, und wenn die Blütenblätter fielen, würde sein Schmerz aufhören. Er war zu einer Entscheidung gekommen.
    An diesem Morgen hatte Mary beschlossen, all ihren Mut zusammenzunehmen und Robert zu zeigen, wie viel er und Zanana ihr bedeuteten. Sie ging früh in die Küche hinunter und sah Mrs. Butterworth beim Vorbereiten seines Frühstückstabletts zu.
    »Bitte, ich möchte es zu ihm hinaufbringen«, bat Mary.
    Gladys Butterworth sah erstaunt auf, als sie das Drängen und die Verzweiflung in der Stimme des kleinen Mädchens hörte. »Was für eine nette Idee, Mary. Vielleicht weckt ihn das auf … in mehr als einer Hinsicht.«
    »Ich werde ihn nicht stören und nichts sagen … bitte!«
    Mrs. Butterworth gab ihr das weiße Korbtablett mit dem Tee und dem Toast. »Du kannst guten Morgen sagen, aber nicht plappern. Und pass auf, dass du den Tee nicht verschüttest.«
    Vorsichtig nahm Mary das Tablett, stellte es zur Seite und lief, unbemerkt von Mrs. Butterworth, hinaus in den Garten. Kurze Zeit später stieg sie die Treppe hinauf. Sie stellte das Tablett auf den Boden, klopfte an die Tür, nahm es wieder hoch, als sie ein gedämpftes Brummen hörte, und betrat das Schlafzimmer. Stolz marschierte sie durch das Zimmer und ließ das Tablett auf den Nachttisch gleiten.
    Robert las die Morgenzeitung und schaute nicht auf. Die siebenjährige Mary blieb mit auf dem Rücken verschränkten Händen stehen. »Guten Morgen, Papa.«
    Robert raschelte mit der Zeitung und sah sie über den Rand seiner Brillengläser hinweg an.
    »Ich hab dir deinen Tee gebracht.« Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln und sah auf das Tablett.
    Im ersten Moment hätte Robert das Lächeln fast erwidert, doch dann entrang sich ihm ein gepresster Schrei, der Mary entsetzt zurücktreten ließ. Roberts Blick war auf die vollkommene, blassrosa Rose gerichtet, die seitlich auf dem Tablett lag. Seine letzte Rose des Sommers, abgeknickt in der vollen Blüte ihrer Süße und Schönheit. Schon erfüllte ihr unvergleichlicher Duft den Raum.
    »Nein …!« Er holte aus, stieß das Tablett zu Boden, schlug völlig außer sich mit der Zeitung auf Marys Gesicht ein und brüllte dabei unverständliche Worte.
    Mary krümmte sich vor Angst und Entsetzen zusammen und floh zitternd und weinend aus dem Zimmer. Während sie den Flur entlangrannte, hallte sein Gebrüll ihr nach. »Geh! Geh mir aus den Augen. Geh. Geh dahin zurück, woher du gekommen bist!«
    Dann ertönte ein Schrei, der das Haus von den Dachsparren bis zum Keller erschütterte, ein Schrei äußerster Qual. »Catherine …«
     
    Unrasiert und zerzaust saß Robert an seinem Büroschreibtisch und schrieb hastig etwas nieder. Er versiegelte es und kritzelte »Vertraulich – Hock Lee« darauf, dann steckte er es unter den Rand seiner Schreibtischauflage. Er schob den Stuhl zurück, stand auf und warf einen kurzen Blick auf Catherines lächelndes Gesicht in einem Silberrahmen auf dem Schreibtisch, dann

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