Das Dornenhaus
sagte Zac.
»Das ist schön.« Odette lachte über die auf sie zustürmenden Kinder, die eine kichernde, schnatternde Eskorte bildeten.
»Wofür sind all die Pferde?«, fragte Odette, als sie ein Dutzend Pferde in einem rasch zusammengezimmerten Pferch sah.
»Die werden verkauft, wenn jemand ein feuriges und gesundes Pferd erstehen will.«
»Woher kommen die Pferde?«
»Damit würde ich zu viel verraten, nicht wahr?« Zac zwinkerte ihr zu. »Komm. Meine Familie möchte dich wiedersehen.«
Wieder wurde Odette von einer verwirrenden Menge von Vettern und Cousinen, Onkeln, Tanten, Brüdern und Schwestern willkommen geheißen. Alle waren mit allen durch Blutsbande oder geistige Verbindungen verwandt. Sie setzte sich auf die Stufen eines kleinen Wohnwagens, zu beiden Seiten ein Kind, das sie mit freundlicher Neugier ansah. Zac ließ sich zu ihren Füßen nieder, und einige der älteren Frauen hockten sich hin und betrachteten sie mit glänzenden, interessierten Augen.
Odette trug eine weiße Hose, weiße Turnschuhe und eine einfache Baumwollbluse. Sie kam sich sehr schlicht vor neben den farbenprächtig gekleideten Frauen.
Als hätte es ihre Gedanken gelesen, fragte eines der kleinen Mädchen mit der Offenheit eines Kindes: »Warum trägst du nicht solche Kleider wie wir?«
»Weil ich solche Kleider nicht besitze. Du siehst sehr hübsch aus«, erwiderte Odette und berührte das scharlachrote, mit Goldfäden durchwobene Tuch, das die Kleine um die Schultern trug.
»Dann werden wir dir was zum Anziehen geben!«, rief Zac und sprang auf. »Cousine Delia, hol deine Truhe heraus und such etwas Passendes für Odette.«
»Nein, das geht doch nicht«, protestierte Odette, als Zac sie zu einem anderen Wohnwagen zerrte.
Schüchtern kam sie einige Zeit später wieder heraus. Ein durchsichtiger, glitzernder Rock fiel ihr über die weiße Hose bis auf die Knöchel herab, ein mit Seidenfransen besetzter und mit bunten Blumen bestickter Schal war um ihre Schultern geknotet, goldene Ohrringe klimperten, und das aus dem Zopf gelöste Haar stand in krausen Locken um ihren Kopf und war auf einer Seite mit einem Schildpattkamm hochgesteckt.
»Das ist schon besser – du siehst aus wie eine Waldfeenprinzessin.«
Zac nahm sie bei der Hand und wirbelte sie herum, bis sie den Atem verlor. Sie taumelte zu Boden, setzte sich im Schneidersitz hin und lachte, während sie nach Luft rang.
Zac griff nach seiner alten Gitarre und setzte sich neben sie. »Ich singe dir eine meiner Balladen vor.« Er sang von den Zigeunerstämmen, die gezwungen wurden, ihre alte Heimat in Indien und Ägypten zu verlassen. Er sang von der Durchquerung des Roten Meeres, als die Truppen des Pharaos vom Wasser eingeschlossen wurden. Aber ein Paar entkam und wurde zu den Begründern eines Zigeunerstamms. Er sang davon, wie die Söhne Kains die Nägel für die Kreuzigung geschmiedet hatten und deswegen in Angst und Schrecken fliehen mussten. Und schließlich sang er von dem Tag, an dem die Stämme das Land Chaldäa erobert hatten, und als es für sie zu klein wurde, teilten sie sich auf … einige gingen nach Indien, andere nach Ägypten. Sie nahmen mit sich ihre geheimen Wissenschaften, ihre Sprache, ihr Wissen und ihr
patrin
– die Kunst, geheime Zeichen und Botschaften zu entziffern, die von den Zigeunern auf ihren Wanderungen für ihre Stammesbrüder hinterlassen wurden. Am Ende der Ballade schloss Zac die Augen und sang voller Leidenschaft von »dem Tag, an dem die Kinder der Stämme wieder an einem Ort vereint sein werden«.
Die Töne verklangen, und Zac legte die Gitarre neben sich auf den Boden. »Und das, süße Odette, ist der Fluch der Zigeuner – wir müssen endlos wandern, bis wir unsere Heimat wiederfinden.«
Odette saß schweigend und ganz überwältigt da. Die Geschichte, die Musik, Zacs bewegender Gesang hatten etwas tief in ihr berührt. Sie brach das Schweigen. »Das ist alles so tragisch, und doch so schön. Ich möchte mehr über dein Volk erfahren.«
Zac erhob sich. »Ein andermal, Odette. Komm und begrüße unsere Königin Cerina.«
Schüchtern schüttelte Odette der alten Zigeunerin die Hand, die Königin dieser und anderer in dieser Gegend herumreisender Gruppen war. Die alte Frau besaß immer noch eine große Schönheit. Die zarten hohen Wangenknochen, die Adlernase und die blitzenden dunklen Augen beherrschten das Gesicht. Die Fältchen um ihren Mund und ihre Augen, das Netzwerk der Falten auf ihrer Haut sprachen von einem
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