Das Dornenhaus
hast.«
Er küsste sie sanft auf die Stirn. »Doch, das weiß ich. Komm mich bald mal in der Schmiede besuchen.«
Odette hatte über Zacs Rat nachgedacht und beschlossen, mit Joe Fitzpatrick zu sprechen, dem Herausgeber und Chefredakteur des
Clarion
. Früher wäre sie vielleicht einfach in sein Büro geplatzt, hätte ihr Anliegen stotternd vorgebracht und das Beste gehofft, doch diesmal setzte sie sich hin und dachte alles genau durch. Was die Zigeunerkönigin ihr gesagt hatte, ergab für sie durchaus einen Sinn. Sie wusste, was sie sich für ihre Zukunft wünschte, und sie würde ihrem Herzen folgen, nicht ihrem Kopf.
Odette hatte einen Bogen Papier genommen und sich Notizen gemacht – was sie wollte, was sie zu erreichen hoffte und welche Hindernisse es geben mochte. In zwei Rubriken hatte sie die Vor- und Nachteile aufgelistet, die Wege und Möglichkeiten, ihr Ziel zu erreichen. Zufrieden hatte sie festgestellt, dass mehr auf der Plus- als auf der Minusseite stand.
Schließlich hatte sie sich ihre Geschichten und kleinen Artikel vorgenommen, die vier besten aussortiert und noch einmal überarbeitet, bevor sie sie Mr. Fitzpatrick gab. Sie fand den Artikel, der auf den alten Briefen und Fotos aus der Gründungszeit von Amberville basierte, am besten gelungen. Sie hatte überlegt, ob sie den Chefredakteur einfach in seinem Büro aufsuchen sollte, was aufgrund seiner ›Politik der offenen Tür‹ durchaus möglich gewesen wäre, aber sie entschied sich dagegen. Stattdessen hatte sie angerufen und um einen Termin mit Mr. Fitz gebeten und ihm dann zwei Tage vorher die Artikel auf den Schreibtisch gelegt.
Es war Freitagnachmittag, und der Termin war um vier. Odette eilte von der Schule nach Hause und zog sich sorgfältig an. Sie wählte einen Rock und eine hübsche Bluse, dazu ihre Schulschuhe und weiße Socken. Ihre widerspenstigen kastanienbraunen Locken band sie hinten mit einer blauen Schleife zusammen. In die Rocktasche steckte sie den Zettel mit den Punkten, die sie ansprechen wollte, als Gedächtnisstüze, falls sie nervös wurde und etwas vergaß.
»Ich fahre zur Zeitung, Tante Harriet. Es könnte etwas später werden als sonst.«
»Du bist aber vor der Dunkelheit zurück«, rief ihre Tante. Als sie dann Odettes Aufmachung sah, meinte sie: »Du siehst sehr hübsch und ordentlich aus, Liebes. Hast du was Besonderes vor?«
»Nein. Nur eine Besprechung mit dem Chefredakteur.« Mit einem Grinsen im Gesicht segelte Odette hinaus.
Obwohl sie schon oft mit Mr. Fitz zu tun gehabt hatte und sich in seinem voll gestopften Redaktionsbüro wohl fühlte, war ihr diesmal ganz anders zumute, als sie die Redaktion des
Clarion
an der Isobel Street betrat.
Nervös glättete sie ihren Rock und steckte eine Locke zurück, dann ging sie zu dem kleinen abgetrennten Raum, der dem Chefredakteur als Büro diente. Fitz, wie er genannt wurde, hatte schütteres graues Haar, ein gerötetes Gesicht und trug stets eine Fliege, ein weißes Hemd und eine Weste. Eine Goldkette, dick wie eine Amtskette, spannte sich über seinem wohlgerundeten Bauch. Am Ende der Kette steckte in seiner linken Westentasche eine goldene Taschenuhr, auf die er wohl ein dutzendmal am Tag sah.
Eine Angewohnheit, die Odette amüsierte, da der Redaktionsschluss des wöchentlich erscheinenden
Clarion
am Donnerstagnachmittag war.
Fitz deutete auf einen Stuhl vor seinem überquellenden Schreibtisch. Er räumte ein paar Manuskripte zur Seite und schob seine Zweistärkenbrille auf die Stirn hinauf, verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich über den Schreibtisch. »Was kann ich für dich tun?«
Odette war ebenso direkt. »Ich möchte beim
Clarion
arbeiten. Ganztags. Ich möchte Reporterin werden und als Praktikantin anfangen.«
»Wir sind keine der großen Tageszeitungen mit Praktikanten und einem Ausbildungsprogramm, Odette.«
»Das ist mir klar. Aber eben weil der
Clarion
so klein ist, glaube ich, dass ich hier mehr über alle Aspekte des Journalismus lernen kann und darüber, wie eine Zeitung gemacht wird.« Sie schenkte ihm ein rasches Lächeln. »Ich glaube, Sie könnten mir viel beibringen, Mr. Fitz.«
»Hm.«
»Haben Sie die Artikel gelesen, die ich zu Hause geschrieben habe?« Sie sah sie auf dem Schreibtisch liegen.
Mr. Fitz blätterte darin herum und murmelte: »Ich hab sie überflogen.«
Odette fuhr fort: »Ich weiß, dass Sie nur wenige Angestellte haben und dass es vermutlich eine Zeit dauern wird, bis ich von Nutzen
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