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Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
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Mutter goss eine letzte Tasse Tee für Harold und Gladys Butterworth ein. Sie sahen müde und erschöpft aus.
    »Ich lasse die Kutsche vorfahren, die Sie zurück nach Zanana bringt. Wo ist Mary?«, fragte Hock Lee.
    »Im Garten«, erwiderte Gladys.
    Hock Lee verließ das Zimmer. Er musste das ganze Grundstück absuchen, bis er sie endlich fand. Mary lag mit dem Gesicht nach unten unter einem großen Azaleenbusch. Ihr Gesicht war auf ihre Arme gebettet, und obwohl sich ihrem kleinen Körper kein Laut entrang, bebten ihre Schultern vor unterdrücktem Schluchzen.
    »Mary, Mary.« Hock Lee nahm sie auf den Arm. Aber Mary wehrte ihn wütend ab und strampelte sich frei. Ihr Gesicht war mit Erde und Tränen verschmiert.
    »Lass mich in Ruhe!«
    »Mary, ich verstehe dich. Ich weiß, wie du dich fühlst.«
    »Nein. Nein, das weißt du nicht«, kreischte die Kleine.
    Hock Lee hielt ihre fuchtelnden Arme fest und sagte mit fester Stimme: »Hör mir zu, Kind. Hab keine Angst. Alle haben dich lieb. Du wirst in Zanana immer ein Zuhause haben. Du bist ein Teil der Familie, genau wie die kleine Kate.«
    Das Mädchen schwieg und schaute ihn ungläubig an.
    »Verstehst du mich? Jetzt musst du damit aufhören. Kate ist deine Schwester, und ihr beide werdet unter der besonderen Obhut von Mr. und Mrs. Butterworth stehen.«
    »Sie ist nicht meine Schwester. Ich habe keine Familie. Ich bin nicht erwünscht.« Mary sprach in ruhigem, altklugem Ton, drehte sich um und entfernte sich von Hock Lee mit durchgedrücktem Rücken und so angespannt, als sei ihr Körper eine Sprungfeder. Sie ging sehr steif, bot so viel Stolz und Selbstbeherrschung auf, wie es ihr möglich war, und wischte sich erst kurz vor dem Haus mit einer verletzlich wirkenden, kindlichen Geste die Augen mit den Fäusten aus.
    Mit schmerzerfülltem Herzen ließ Hock Lee sie gehen. So viel Qual und Bitterkeit bei einem so jungen Menschen zu sehen war fast mehr, als er ertragen konnte. Für einen kurzen Augenblick nahm er es Robert regelrecht übel, sich seiner Pflichten entzogen zu haben, schob den Gedanken aber rasch beiseite. Es war ein langer und emotionsgeladener Tag gewesen.
    Mehrere Wochen vergingen, und bald hatte sich in Zanana eine neue Routine eingestellt. Gladys Butterworth hielt mit Nettie Johnsons Hilfe die Villa in Ordnung. Sid Johnson und Harold Butterworth übernahmen die Verwaltung der Molkerei und der Gärtnerei. Hock Lee kam einmal wöchentlich nach Zanana und sorgte dafür, dass die Milchprodukte und die anderen Waren auf die Märkte von Sydney gebracht wurden und alles seinen gewohnten Gang ging.
    Bei einem dieser Besuche saß er mit Gladys auf einem Rasenplatz, von dem aus man einen Blick auf den Fluss hatte. Sie tranken Tee, und Hock Lee fragte sie, wie sie mit Mary und dem Baby zurechtkam.
    »Das Baby macht überhaupt keine Probleme. Aber Mary ist ein bisschen schwierig. Launisch und trübsinnig. Sie war früher so ein sonniges Kind«, seufzte sie.
    »Hat es Ärger gegeben?«
    »Oh, sie läuft ab und zu weg. Kommt nicht, wenn sie gerufen wird, und spricht oft nicht mit mir. Sie will mir überhaupt nicht mit dem Baby helfen. Scheint nichts mit Kate zu tun haben zu wollen. Vielleicht wäre es gut, wenn sie mehr Unterricht bekäme, damit sie beschäftigt ist.«
    »Daran habe ich auch schon gedacht. Ich kümmere mich darum, dass ein Hauslehrer aus dem Dorf kommt.«
    Später, als er sich an der Auffahrt von Harold verabschiedete, sagte Hock Lee: »Übrigens, Harold, ich würde Sie und Mrs. Butterworth bitten, bald einmal in die Stadt zu kommen. Dashford hat die Vormundschaftspapiere zur Unterschrift fertig. Ich könnte sie herbringen, aber ich glaube, ein Tag in der Stadt und ein Lunch in den ›Tea-Rooms‹ würden Mrs. B. gut tun.«
    »Ja, das wäre mal eine Abwechslung für sie. Vielen Dank, Hock Lee. Ich bin froh, wenn für Kate alles geregelt ist, so wie es sich gehört.«
    Hock Lee schlug die Kutschentür zu. »Machen Sie so weiter, Harold. Sie leisten gute Arbeit.«
    »Keine Bange, wir kommen jetzt gut zurecht.«
    Als sie sich voneinander verabschiedeten, bemerkte keiner der beiden Männer die kleine Mary, die hinter einer der Säulen hervorkam und wie der Blitz im Garten verschwand.
     
    Mrs. Butterworth machte sich sorgfältig für ihre Fahrt in die Stadt zurecht. Sie setzte ihren Filzhut mit der Straußenfeder auf und summte Kate etwas vor, während sie ihr das gestrickte Häubchen zuband. Als sie Mary mit mürrischem Gesicht an der Tür stehen

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