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Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
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Ich kann diesen Unsinn nicht mehr lange ertragen«, dachte sie. Langsam und mit schleppenden Schritten ging Mrs. Butterworth zum Häuschen der Johnsons zurück, um zu berichten, dass mit Mary alles in Ordnung sei. Nun ja, körperlich war sie in Ordnung, aber gefühlsmäßig schien mehr im Argen zu liegen, als sie gedacht hatten.
    Mary wusste, dass sie in Ungnade war, und blieb mehrere Tage für sich. Sie war in sich gekehrt, und ihr Verhalten schwankte zwischen hochmütiger Verachtung und missmutigem, widerspenstigem Trotz.
    Abends sprachen Harold und Gladys darüber in ihrem breiten Bett mit dem stabilen Holzrahmen.
    »Vielleicht sollten wir mit Hock Lee reden. Er wird wissen, was zu tun ist«, entschied Harold.
    »Hm. Wäre wohl besser … mir kommt es nur so vor, als wäre da noch was anderes. Etwas Widerspenstiges, Halsstarriges. Ich wünschte, wir wüssten mehr über sie … über ihre Herkunft«, seufzte Gladys.
    »Schlaf erst mal darüber, Liebes. Wir treffen morgen eine Entscheidung«, gähnte Harold.
    »Das schlägst du immer als Lösung aller Probleme vor«, sagte Gladys zärtlich und stupste Harolds kräftiges Bein mit dem Fuß an.
    Aber am nächsten Morgen nahmen die Dinge eine rasche Wendung, und Marys Schicksal war besiegelt.
    Harold war früh auf und ging verschlafen an Kates Kinderzimmer vorbei. Als er sah, dass die Tür offen stand, wollte er sie schließen, damit Gladys noch ein bisschen länger schlafen konnte. Doch seine Hand verharrte auf dem Türknauf. Das Moskitonetz über der Wiege des Babys war zurückgeschlagen, und er wusste sofort, dass die Wiege leer war.
    Er trat ein und sah sich rasch im Zimmer um, rannte dann den Flur entlang und riss Marys Tür auf. Entsetzt erstarrte er.
    Mary, immer noch in ihrem langen weißen Nachthemd; saß auf dem Sims des offenen Fensters. In ihrem Schoß hielt sie die kleine Kate, deren vertrauensvolle blaue Augen auf sie gerichtet waren. Sie befanden sich im oberen Stockwerk, unter ihnen war das Dach des Vorbaus mit dem gefliesten Marmorboden und den Steinstufen, die zur Auffahrt hinabführten.
    Marys Beine baumelten aus dem Fenster. Sie musste nur die Knie ein wenig senken, und Kate würde von ihrem Schoß gleiten. Ihre Hand ruhte leicht auf dem Nachthemd der Kleinen.
    Harold bemühte sich, ruhig zu bleiben, aber seine Stimme war angespannt und voller Furcht. »Mary, Liebes, was machst du da? Es ist ein bisschen gefährlich, dort mit Kate zu sitzen. Komm, komm jetzt wieder rein.« Er machte einen Schritt auf sie zu.
    »Komm bloß nicht näher«, kreischte Mary. »Geh weg.«
    »Mary … um Himmels willen …«
    Hinter Harold schnappte jemand nach Luft und stieß ein unterdrücktes Schluchzen aus. »O nein …«
    Harold wirbelte herum und sah Gladys mit weit aufgerissenen Augen im Türrahmen stehen. Er ging auf sie zu, aber sie stieß ihn zur Seite und lief zum Fenster. Im selben Moment geriet Mary in Panik, wollte vom Fenstersims aufstehen und riss plötzlich beide Arme hoch, um sich vor der heranstürmenden Gladys zu schützen.
    Wie in Zeitlupe glitt das Baby außer Sichtweite. Harold war als Erster bei Mary und warf sie zu Boden. Gladys, deren Beine unter ihr nachgaben, bevor sie das Fenster erreichen konnte, sackte in sich zusammen. Draußen war ein schwacher Aufprall zu hören, danach eine schreckliche Stille. Harold verschwamm alles vor den Augen. Und dann kam es. Ein kräftiger, wenn auch verängstigter Schrei.
    Harold klammerte sich an den Fenstersims und schaute hinaus. Das Baby hatte sich in der ein Meter fünfzig tiefer gelegenen Regenrinne verfangen und lag gefährlich nahe am Rand. Die kleinste Bewegung würde es abstürzen lassen.
    Harold schwang ein Bein über den Sims und probierte vorsichtig die Festigkeit der Dachschräge aus.
    »Harold … ist alles in Ordnung mit ihr? O Gott, sei vorsichtig.« Gladys war ans Fenster getreten, ganz weiß im Gesicht. »Warte …« Sie zerrte das Laken vom Bett und gab Harold rasch einen Zipfel davon. »Halt dich daran fest. Ich binde das andere Ende ans Bettgestell.«
    Harold ließ sich langsam zu dem wimmernden Baby hinab, bewegte sich leise und vorsichtig, um es nicht zu erschrecken oder zu einer plötzlichen Bewegung zu veranlassen.
    Gladys umklammerte das andere Ende des Lakens, schloss die Augen und betete.
    Mary war nicht mehr im Zimmer.
    Furchtsam bemüht, die Dachrinne nicht noch mehr zu belasten und sie vielleicht abzubrechen, streckte Harold die Hand aus. Er konnte Kate an ihrem Nachthemd

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