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Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
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und Aufrichtigkeit: »Wer einem Kind ein Heim gibt, baut im Reich Gottes Paläste.«
    Harold und Gladys warfen sich einen kurzen Blick zu, sie waren sich ihrer neuen Verantwortung wohl bewusst. Beide lächelten auf das ernst blickende Baby hinab. Dann wurde Kate ihrem Paten Hock Lee übergeben. Hock Lee hielt sie hoch über seinen Kopf und sagte: »Ihnen allen, die Sie hier versammelt sind, stelle ich hiermit Katherine Gladys MacIntyre vor«, worauf sie einen lustvollen Schrei ausstieß und ein Lächeln über die Gesichter glitt.
    Als die kleine Prozession die Kirche verließ, bemerkte niemand, wie Mary heimlich ihre Finger ins Taufbecken tauchte, damit ihre Stirn berührte und leise vor sich hin flüsterte.
    So fand die Trauerfeier für Robert einen fröhlichen Ausklang, und alle standen in Grüppchen auf dem Bürgersteig zusammen und bewunderten das jetzt schlafende Baby. Allmählich löste sich die Menge auf, und die Butterworths schlossen sich der Gruppe an, die sich zur Tauffeier in Hock Lees Villa begab.
    Die siebenjährige Mary blieb während des ganzen Vorgangs unbemerkt und unbeachtet. Sie machte ein mürrisches, verdrossenes Gesicht und sprach mit niemandem. Das Baby stand nun im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, und sie konnte nicht verstehen, warum so viel Theater um den Säugling gemacht wurde, der für den Tod ihrer Adoptivmutter Catherine verantwortlich war. Und auch Roberts Kummer und seinen Tod schob Mary jetzt auf das Baby.
    Hock Lee wohnte in einem geräumigen Haus im vornehmen Mosman, neben der Villa, in der sich seine Familie nach Erlangen eines beträchtlichen Vermögens niedergelassen hatte. Vom oberen Balkon des Hauses hatte man einen phantastischen Blick auf die Bucht, und das Haus war mit vielen chinesischen Antiquitäten möbliert, die Hock Lee sich aus Shanghai hatte kommen lassen.
    Die Trauergäste, die zu dieser Feier eingeladen worden waren, standen in Gruppen zusammen, unterhielten sich und aßen die Köstlichkeiten, die Hock Lees Mutter zubereitet hatte. Mary, immer noch unbeachtet, hielt sich abseits und stocherte in ihrem Essen herum.
    In ihrer Nähe unterhielt sich Charles Dashford mit Hock Lee. »Ich habe die Vormundschaftspapiere für die Butterworths so weit fertig. Es ist alles ganz unkompliziert abgefasst. Ich wünschte nur, Robert hätte ein Testament hinterlassen. Man weiß gar nicht, wie er die Dinge geregelt haben wollte. Mary ins Waisenhaus zurückzuschicken ist keine Lösung.«
    Hock Lee entdeckte plötzlich Mary, die die beiden Männer mit entsetztem Gesicht anstarrte. »Lassen Sie uns später darüber reden, Charles. Mary …« Er drehte sich zu dem kleinen Mädchen um, doch sie rannte aus dem Zimmer.
    Hock Lee lief hinter ihr her, aber das Kind war verschwunden. Er seufzte und kehrte zu seinen Gästen zurück, die sich allmählich zum Aufbruch rüsteten. Sie hatten einem angesehenen Mann, der tragischerweise bei einem ›Bootsunglück‹ ums Leben gekommen war, die letzte Ehre erwiesen, hatten Hock Lee ihr Beileid ausgesprochen, dankten ihm nun für den Leichenschmaus und waren bereit, die Fäden ihres eigenen Lebens wieder aufzunehmen.
    Charles Dashford, seine Frau und ihr kleiner Sohn Hector verabschiedeten sich ebenfalls. »Würden Sie nächste Woche in mein Büro kommen, Hock Lee? Die Papiere, die das Baby betreffen, werden dann bereitliegen.«
    »Was ist mit Mary? Wie ist ihr rechtlicher Status?«
    »Die Adoption wurde nie vollständig abgeschlossen, also gibt es keine rechtliche Vereinbarung oder Verpflichtung, was, offen gesagt, die Dinge hinsichtlich eines Erbanspruchs langfristig vereinfacht.«
    »Aber trotzdem besteht die moralische, soziale und emotionale Verpflichtung, für ihr Wohlergehen zu sorgen«, erwiderte Hock Lee.
    »Durchaus … durchaus.« Dashford blieb unverbindlich. »Nun ja, wir müssen gehen. Sag auf Wiedersehen, Hector.«
    Der kleine Junge ließ den Kopf hängen und weigerte sich, die Hand zu geben. Hock Lee tätschelte seinen Kopf und ging weiter, um sich von anderen Gästen zu verabschieden.
    Nachdem der offizielle Empfang vorüber war, sank Hock Lee in einen Sessel und schloss die Augen. Er wusste, dass der Schmerz um den verlorenen Freund noch gar nicht richtig eingesetzt hatte. Bilder ihrer Tage auf den Goldfeldern – das raue und ungewisse Leben, die Gefahren, die Erregung, als sie auf Gold stießen – liefen vor seinem inneren Auge ab. Hock Lee atmete tief durch, da er spürte, wie seine Brust eng wurde. Er sah sich um. Seine

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