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Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
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und der Umgebung und schien ein enzyklopädisches Wissen über sämtliche Leichen im Keller jeder einzelnen Familie zu haben. Sie bevorzugte gut geschnittene Kostüme, Rüschenblusen und festes Schuhwerk und sah immer sehr förmlich gekleidet aus. Im Gegensatz dazu stand ihre Angewohnheit, unter ständigem Husten ihre selbst gedrehten Zigaretten zu rauchen.
    Tony James, der Nachrichtenreporter, war jung, hatte größere Ziele vor Augen und betrachtete seine Zeit beim
Clarion
als ermüdende Pflichtübung. Er kam von einer noch kleineren Provinzzeitung und fand Amberville, genau wie Odette, erstickend. Tony war verrückt nach Fußball, Autos und Mädchen. Er pinnte sich Farbbilder von Filmsternchen aus amerikanischen Zeitschriften an die Wand, dazu dralle Schönheiten aus den Zeitschriften
Pix
und
Man
. Die Bilder waren schon etwas schmuddelig, verblichen und verknickt, aber er bestand darauf, sie über seiner Schreibmaschine hängen zu lassen, weil es »ja sonst nichts Hübsches in Amberville anzusehen gibt«.
    »Oh, vielen Dank«, sagte Odette.
    Tony hatte den Anstand, verlegen zu werden. »Na ja, ich meine natürlich nicht dich, du bist anders, du bist … eine von uns.«
    Odette fasste das als Kompliment auf und hörte gutmütig Tonys endlosen Tiraden über die Engstirnigkeit der Bevölkerung Ambervilles und die Enge der Redaktion des
Clarion
zu.
    Sie selbst war jedoch begeistert und liebte den Geruch der Druckerschwärze und des heißen Bleis in der Setzerei, den Krach der alten Druckmaschine und die chaotische Unordnung in der Redaktion.
    Donnerstags nachmittags, wenn die ganze Auflage gedruckt war und die Zeitungsjungen sie per Fahrrad in der Stadt auslieferten, öffnete Mr. Fitz gern ein paar Flaschen Bier und ergötzte sie alle, wenn er in der Stimmung dazu war, mit Geschichten aus seiner Zeit als junger Reporter in der Londoner Fleet Street.
    Tony flüsterte dann Odette zu: »Himmel, jetzt geht das schon wieder los«, aber Odette liebte seine Geschichten und träumte davon, eines Tages ein richtiges Volontariat bei einer großen Zeitung zu bekommen. Sie erkannte jedoch, dass der
Clarion
die Bedürfnisse der ländlichen Gemeinde befriedigte, und die Sitzungen mit Mr. Fitz, in denen er ihre Artikel kritisierte, waren zwar aufreibend, aber gleichzeitig unschätzbare Lektionen für ihren späteren Werdegang.
    »Warum hast du mit diesem Satz angefangen? Wird er irgendjemanden dazu veranlassen weiterzulesen? Nein! Du musst den Leser schon mit dem Anfangssatz und dem ersten Absatz in den Artikel hineinziehen. Und ständig vergisst du die Antwort auf die fünf grundlegenden Ws, die da sind …?«
    »Wer, was, wann, wo und warum«, antwortete sie geknickt.
    »Also los, Mädchen. Schreib’s noch mal neu.«
    Und Odette nahm ihren Artikel, bedeckt von Fitz’ Blaustiftanmerkungen, hämmerte mit zwei Fingern auf ihre uralte Remington ein und überarbeitete ihn ein weiteres Mal. Mit zunehmender Regelmäßigkeit erschienen ihre kleinen Beiträge in der Zeitung, und sie machte Tante Harriet stolz darauf aufmerksam.
    »Wieso steht dein Name nicht darunter wie bei den beiden anderen, die da arbeiten?«, wollte ihre Tante wissen. »Ich sehe wirklich nicht, wie dieser Job dich weiterbringen soll, Odette. Und wie ich so höre, sind Zeitungsleute nicht eben die angenehmsten Menschen.«
    »Was meinst du damit, Tante Harriet?«
    »Sie haben keine Klasse, Liebes. Sitzen dauernd im Pub und trinken, wie ich gehört habe. Ich begreife nicht, warum du da arbeiten willst. Nun ja, es ist ein Job, und das ist wohl besser als nichts.«
    Odette hielt den Mund. Dorothy Jackson hatte eine Menge Klasse, obwohl es stimmte, dass die Männer sich öfter in den beiden Pubs im Ort aufhielten. Mr. Fitz behauptete, er erfahre bei einem Humpen Bier mehr Neuigkeiten als aus irgendwelchen anderen Quellen.
    Tante Harriet teilte Odettes Liebe zum Lesen oder Schreiben nicht. Sie hatte die Zeitschrift
The Lady
abonniert, die erst Monate nach ihrem Erscheinen in England bei ihr eintraf. Geduldig wartete sie auf den Tag, an dem Odette einen guten Bürojob finden und ein bürgerliches Leben beginnen würde, denn ihrer Meinung nach konnte eine junge Frau ihr Geld einfach nicht mit Schreiben verdienen.
    Als ihr kleiner Artikel über die Intrigen und die kleinlichen Machtspielchen in der Musik- und Theatergesellschaft erschien, war Odette dankbar, dass sie sich ihre Namenszeile noch nicht verdient hatte. Tante Harriet war ein treues Mitglied der Gesellschaft,

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