Das Dornenhaus
bevor wir zu nahe dran sind, und den Rest zu Fuß gehen. Wenn du ihnen den Rücken kehrst, schlachten sie deinen Wagen in Minutenschnelle aus. Das hab ich schon mal mitgemacht.«
»Was ist passiert?«
»Tja, das war vor etwa zwei Jahren. Ein hübsches Mädchen wollte per Anhalter mitgenommen werden, also hielt ich an, und sie fragte, in welche Richtung ich fahre. Sie beugte sich ins Autofenster, trug eine ausgeschnittene Bluse, weißt du, flirtete mit mir. Bot an, mir aus der Hand zu lesen und so. Während ich mit ihr sprach, haben ein paar Kerle mein Auto ausgeräumt und auch noch zwei Radkappen abmontiert.«
Odette lachte den beleibten, kräftig aussehenden Fotografen an, der die meiste Zeit sanft wie ein Kätzchen war. »Geschieht dir recht, wenn du flirtest, Horrie. Dachtest, du hättest das große Los gezogen, was?«
»Ja.« Er grinste verlegen. »Komisch ist nur, dass sie mir aus der Hand gelesen hat und ganz viel von dem, was sie sagte, auch eingetroffen ist.«
Er bog von der Straße ab, parkte den Wagen bei einer Baumgruppe, schloss ihn ab, hängte sich seine Kameratasche über die Schulter und folgte Odette durch den Busch auf dem Pfad dem Fluss entlang. Nach einer Biegung standen sie vor dem unordentlichen, farbenprächtigen Zigeunerlager. Hunde kamen bellend auf sie zu, hinter ihnen eine Schar kleiner Kinder.
Horrie blieb stehen und brülle: »Pfeift die verdammten Hunde zurück.«
»Die tun dir nichts, Horrie. Delia, Noyla, Mateo … hallo.« Odette winkte und ging auf die Frauen und den Mann zu, die ihnen entgegenkamen.
»Du kennst diese Leute?«, fragte Horrie verwirrt.
Odette wurde umarmt, und die Kinder hüpften um sie herum. Rasch erklärte Odette, dass es sich nicht um einen Freundschaftsbesuch handelte. »Die Zeitung hat mich geschickt. Das ist Horrie, er ist Fotograf. Hat es irgendwelche Schwierigkeiten gegeben?«
Die Erwachsenen sahen einander an. »Odette, du bist unsere Freundin. Das könnte schwierig für dich werden. Wir haben dir vertraut, wir wollen unsere Geschichte und unsere Fotos nicht in einer Zeitung gedruckt sehen.«
Odette legte Delia die Hand auf den Arm. »Bitte vertraut mir. Ich bin eure Freundin. Horrie, würdest du hier warten, ich will mich nur mal kurz mit ihnen unterhalten.«
Horrie ließ die schwere Tasche zu Boden gleiten und blieb mit verschränkten Armen stehen. Odette ging zusammen mit ihren Freunden ins Lager, spürte aber ihre Zurückhaltung bei diesem offiziellen Besuch.
»Weiß Zac, dass du hier bist?«
»Nein. Ich wollte zuerst zu ihm gehen, dachte dann aber, ich komme selbst her, um zu sehen, was es für Probleme gibt … ich wusste nicht, ob irgendwelche Leute aus der Stadt hier sind oder ob ihr vielleicht Hilfe braucht. Was ist denn los?«
Das Lager wirkte wie immer, obwohl Odette auffiel, dass außer dem alten Mateo keine Männer da waren, keine Pferde und auch keines der großen amerikanischen Autos, die sie gerne fuhren.
Die Zigeuner tauschten Blicke aus, bevor sie etwas sagten. »Odette, wenn wir mit dir reden, dann musst du schreiben, was du als Wahrheit erkennst, und dich nicht von der Wut und den Vorurteilen der Stadtleute beeinflussen lassen, die kaum etwas außerhalb ihrer kleinen Welt kennen.«
»Ich schreibe immer die Wahrheit.«
»Aber manchmal kann die Wahrheit verdreht und eingefärbt werden, damit sie ein anderes Aussehen bekommt«, sagte Noyla sanft.
»Und manchmal sind die Tatsachen nicht einfach schwarz und weiß … du musst auf das Grau achten, Odette, auf die Zwischentöne. Komm, trink Kaffee mit uns, und wir werden die Königin fragen, ober wir mit dir reden können.«
»Kann Horrie auch mitkommen? Glaubt ihr, er könnte in paar Fotos machen?«
»Dräng uns nicht, Odette. Manche von uns mögen nicht fotografiert werden. Die alten Leute glauben, dass es die Seele raubt. Wenn die Königin zustimmt, werden wir es erlauben.«
Odette winkte Horrie zu, sich ihnen anzuschließen, während Noyla zu dem kleinen Wohnwagen der Königin ging, der immer noch von einem Pferd gezogen wurde, im Gegensatz zu anderen, moderneren, die von Autos gezogen wurden. Horrie kam herüber und setzte sich ein wenig unbequem in einiger Entfernung auf das Trittbrett eines Wagens.
Nach einigem Hin und Her kam Cerina mit Noyla und Mateo aus dem Wagen. Sie griff nach Odettes Händen und begrüßte sie herzlich. »Du bist unsere Freundin. Wir werden mit dir reden. Vielleicht ist es Zeit, dass die Leute in der Stadt ein bisschen besser über unsere
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