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Das Drachentor

Titel: Das Drachentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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sich her, die mit Feuerholz, Nahrung, Fellen und Waffen beladen waren. Auch die fremden Kinder, die sie zusammengekauert und versteckt in den Dörfern gefunden hatten, mussten mit anpacken und die Beute zu den Felshöhlen schleppen. Stumm hoben sie die Körbe hoch, die getragen werden mussten, und folgten Alasar.
    So war er mit zwanzig Kindern gegangen und kehrte mit sechzig zurück. Als sie die Felshöhlen erreichten, hatten die anderen bereits gekocht. Es gab Hafersuppe, die mit allen Neuankömmlingen geteilt werden musste, sodass die einzelnen Portionen kaum satt machten. Die Schlaflager wurden um eine große Halle erweitert, damit die Verwundeten sich hinlegen konnten. Es mussten mehr Fackeln angezündet werden und bald erfüllte Rauchgeruch die Höhlen.
    Alasar strich durch die Gewölbe ihres großen Verstecks, musterte die Verwundeten, um die sich die Schwangeren und Alten kümmerten, und erkannte, dass die meisten von ihnen nicht überleben würden.
    Einige starben noch in der Nacht. Am nächsten Morgen hoben die Kinder Gräber aus, denn für die Verbrennungszeremonien war das Holz jetzt zu kostbar. Sie gaben den Toten auch keine Holzfiguren und Spielsachen mit in die Andere Welt, wie man es bei Kindern sonst machte, denn keiner wollte sich von seinem letzten Besitz trennen. Es war alles, was sie noch von der Vergangenheit hatten.
     
    An den folgenden Tagen zogen Alasar und seine Gefährten aus, um weitere Dörfer abzusuchen. Alle waren von den Haradonen zerstört worden, und Alasar begann zu glauben, dass es in ganz Myrdhan kein unversehrtes Dorf mehr gab. Er versuchte, sich auszurechnen, wie viele Kinder dann heimatlos waren. Es waren bestimmt mehr als tausend, denn jeden Tag, an dem er durch die Dörfer kam, schlossen sich ihm zwanzig, dreißig oder fünfzig Kinder an.
    Die Höhlen waren bald überfüllt, sodass Alasar neue Gebiete unter der Erde finden musste. Nachts, wenn alle um ihn herum schliefen und die Gewölbe vom Atmen der Kinder erfüllt waren, stand Alasar auf und zog mit einer Fackel und einer Schnur in die Finsternis, damit er sich nicht verirrte. Er prüfte, welche Teile bewohnbar waren und wo sie ihre Hallen erweitern konnten.
    Eines Nachts wachte Magaura auf, die dicht an ihn gekuschelt geschlafen hatte, bevor er zu seinen Wanderungen aufbrach.
    »Geh nicht!«, flüsterte sie, strich sich die Locken aus dem Gesicht und kam auf die Beine. »Wo willst du hin?«
    »Ich gehe in die Höhlen.«
    Da hatte Magaura seine Finger schon mit ihren Händen umschlossen. Selbst wenn er ihr gesagt hätte, er sei auf dem direkten Weg ins Lager der Haradonen, wäre sie ihm gefolgt.
    Nun wanderten sie gemeinsam durch die Dunkelheit, staunend über die unentdeckten Wunderhöhlen voll glitzernder Kristallgebilde und spiegelglatter Gewässer, die noch nie zuvor ein Mensch erblickt hatte. Sie lauschten, wie der Wind in den Grotten heulte, als klagte er über die Einsamkeit, und begegneten unruhigen Schatten, versteckt in den Falten des Gesteins. Beim Anblick all dieser schaurigen Schönheit durchströmten sie Angst und Freude, und sie drückten sich an den Händen, um einander zu versichern, dass sie dasselbe fühlten. Später erinnerte Alasar sich an diese Momente als die schönsten in seinem Leben.
     
    Eines Morgens hatte sich etwas verändert. Alasar fühlte es, sobald er erwachte. Er richtete sich auf, wobei er Magauras Arm behutsam beiseiteschob, und sah sich um. Die Kinder schliefen rings um ihn auf dem Boden, auf Felserhöhungen und in den Kuhlen zwischen dem Gestein. Es roch nach dem Moder, der nicht aus den Felshöhlen zu vertreiben war, und nach dem Rauch der niedergebrannten Fackeln. Alles schien wie gewohnt.
    Alasar stand auf, schlüpfte in seine Stiefel und zog sich sein Wams über. Dann lief er aus der Halle. Er huschte durch die Schatten und Lichter der Fackeln, bis er mehrere Felsbrocken erreichte, die vor langer Zeit eingestürzt waren, und kletterte sie behände hinauf. Durch einen schmalen Riss blitzte ihm der Morgenhimmel entgegen.
    Alasar schlüpfte durch den Riss und richtete sich auf. Er war auf den Felskuppen angekommen, die sich weit über den Grashügeln erhoben. Frost bedeckte den Boden. Er sog die Luft ein, die hier draußen so viel klarer und frischer war als unter den Felsen, und begriff endlich, was er beim Erwachen gespürt hatte: Es roch nach Schnee.
    Noch immer tief atmend, wandte Alasar sich um und entdeckte etwas abseits jemanden, der auf den Felsen stand. »Rahjel!«
    Der

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