Das Drachentor
seinem Dorf geflohen war. An jenem Morgen waren plötzliche Nebel aufgekommen und der Wald hatte sich binnen Sekunden verändert. Er schauderte, als ihm klar wurde, dass er damals in der Nebelwelt gewesen war, fernab der Wirklichkeit, ohne es zu wissen.
»Ich war schon einmal in den Nebeln«, sagte er zu Yelanah. »Als ich das erste Mal mit Palagrin geritten bin. Jetzt bin ich sicher, dass das nicht mehr die Wirklichkeit war. Oder - eben eine andere.«
Yelanah sagte nichts. Dennoch hörte er, wie sie sich zu ihm drehte, ganz langsam, und sich die Hände unter den Kopf schob. Obwohl es dunkel war, hatte er das Gefühl, sie würde ihn ansehen.
»Habe ich mich schon bedankt?«, murmelte sie.
»Wofür denn?«
»Dass du damals bei mir im Kerker warst und mich verteidigen wolltest.«
Revyn hielt einen Moment lang den Atem an. »Du weißt also doch, dass ich es war!«
Sie lächelte. »Natürlich. Ich fand dich für einen Menschen gar nicht so schlecht. Ich habe es auch nicht über mich gebracht, dich zu töten.«
»Bloß weil dir die Zeit gefehlt hat.«
»Das auch.«
Sie grinsten.
»Ich hätte nie gedacht, dass wir einmal so daliegen und miteinander sprechen würden«, fuhr Revyn fort.
»Ich auch nicht.« Sie schwieg, als würde ihr erst jetzt bewusst, dass sie mit einem Menschen sprach. »Schlaf gut«, sagte sie abrupt.
»Oh, in Ordnung. - Ich meine, du auch.« Revyn hatte das ungute Gefühl, etwas Falsches gesagt zu haben. Dann war es still. Nur das Zirpen der Grillen umgab sie noch und das leise Atmen des Windes, der durch die Baumkronen strich. Mit einem Seufzen blickte Revyn in den Sternenhimmel.
Er wachte auf, als ihn ein Grashalm in der Nase kitzelte. Er verzog das Gesicht, drehte sich um und öffnete blinzelnd die Augen. Yelanah saß neben ihm und sah ihn an. Hastig strich er sich über das Gesicht und die Haare. Hatte sie ihn etwa beobachtet?
»Siehst du es?« Ihr Blick irrte zur Seite. »Morgennebel … Wenn die Nebel steigen, drängen sich die Ebenen der Wirklichkeit gegeneinander. Jetzt wäre es ganz leicht, durch die Nebel zu treten und in die Welt der Menschen zu gelangen.«
Revyn richtete sich auf. Er atmete tief ein, dann ließ er die Schultern sinken und sah sich um. »Wo sind die Drachen?«
Vorsichtig nahm Yelanah eine kleine Spinne in die Hand, die auf ihren Arm geklettert war, und setzte sie auf einem Zweig ab. »Die Dar’hana macht der Nebel unruhig. Wenn die Grenzen zwischen den Welten dünn werden, kommen die Drachenfänger.«
»Verstehe.« Revyn drehte sich um und pflückte zwei Bom von den Sträuchern. Eine davon reichte er Yelanah. Sie lächelte. Schweigend aßen sie ihr Frühstück. Der Nebel tauchte den Wald in verschwommenes Blau.
Als Yelanah fertig gegessen hatte, stand sie auf. »Ich habe Lust zu laufen.« Ohne ein weiteres Wort wandte sie ihm den Rücken zu und lief los.
Revyn beeilte sich, ihr nachzukommen. Der Nebel umschloss sie dicht und die ganze Welt schien in wattige Stille gehüllt. Nicht weit vor sich sah Revyn Yelanah rennen. Sie sprang über morsche Baumstämme und zwischen jungen Birken hindurch, erklomm Felsbrocken und kam federnd auf dem tiefen Moos auf. Immer wieder glaubte Revyn sie verloren zu haben - dann sah er wieder ihr Kleid wehen, sah ihre Hand, die einen Zweig zur Seite strich. Er hörte, wie die Holzperlen in ihren Haaren klickten. Er kam außer Atem, doch er rief nicht nach ihr und hielt nicht an. Bald glaubte er noch andere Gestalten hinter den Nebeln zu sehen. Sie schienen verschwunden, sobald er sich zu ihnen umwandte. Der Boden bebte leicht. Aufschlagende Krallen erfüllten die Stille.
»Isàn!«, schrie Yelanah jauchzend. Im Laufen streckte sie die rechte Hand aus. Isàn! Im selben Augenblick tauchten die Drachen aus den Nebeln auf. Isàn galoppierte neben Yelanah, und ohne anzuhalten, sprang sie auf seinen Schwanz und schwang sich hinauf. Revyn schlang sich um Palagrins Hals, als sie nebeneinander herliefen, und kam ebenso geschickt auf den Drachenrücken. Er ergriff das Mittelhorn und drückte die Beine an den kräftigen Leib. Direkt vor ihm galoppierte Yelanah. Links und rechts schlossen sich ihnen immer mehr Drachen an, bis die Herde vollständig war. Der Boden dröhnte unter ihren kräftigen Sätzen, die Nebel zerrissen wie Vorhänge, als sie durch den Wald preschten.
Yelanah ließ Isàns Mittelhorn los und breitete beide Arme aus. Ihre Hände füllten sich mit brausendem Wind. Und auch Revyn, der neben ihr ritt, löste die Hände von
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