Das Drachentor
Palagrin und ergab sich dem Wind. Sein Herz wurde leicht. Seine Gedanken waren eins mit den Drachen und Yelanah. Er fühlte alles … Er spürte ihre Krallen auf der Erde. Spürte ihre Muskeln arbeiten. Spürte den Wind, der Yelanahs Nacken kitzelte …
Dann brachen sie aus dem Dickicht und gleißendes Sonnenlicht überflutete ihre Gesichter. Revyn riss die Augen auf. Er und Yelanah beugten sich vor und klammerten sich an den Drachen fest. Denn vor ihnen - gähnte ein meilentiefer Abgrund. Sie befanden sich auf einer Felszunge, die aus dem Wald ragte und sich weit über dem Land erhob. Bis zum Horizont, an dem das Tageslicht noch mit der Dämmerung rang und die schmalen Wolkenstreifen rosa schimmerten, zogen sich Waldhügel und Gebirge.
Die Drachen hielten nicht an.
Revyn öffnete den Mund, doch die Angst schnürte ihm die Kehle zu. Er spürte, wie Palagrin sich vom Boden abstieß. Und dann war gar kein Boden mehr unter ihnen.
Palagrin und die anderen Drachen spreizten die Flügel. Jetzt gelang es Revyn doch, zu schreien. Er schrie, wie er noch nie geschrien hatte, und der Wind raubte ihm seine Stimme. In rasender Geschwindigkeit näherten sie sich der grünen Tiefe. Palagrin, der seit seiner Gefangenschaft nicht mehr geflogen war - und noch nie mit einem Reiter -, kam ins Trudeln und schwankte gefährlich hin und her. Revyn krallte sich an seinem Hals fest. Alle Eingeweide schienen ihm in die Brust gerutscht. Dann kamen die Baumkronen unter ihnen in Sicht. Im letzten Augenblick machte Palagrin einen kräftigen Flügelschlag. Welkes Laub wirbelte von den Bäumen auf und tanzte vor ihnen her, dann schossen sie über die Wipfel der Tannen und Buchen hinweg.
Revyn glaubte seekrank zu werden. Wann immer Palagrin mit den Flügeln schlug, gewannen sie vier Meter an Höhe, nur um die gleiche Strecke sofort wieder hinabzustürzen. Es ging so schnell auf und ab, als ritten sie auf stürmischen Wellen und nicht in der Luft.
Und dann, endlich, kam ein sanfter Hang in Sicht, an dem wenige Bäume standen. Die Drachen steuerten auf ihn zu. Sie öffneten die Flügel weit, um zu bremsen, und ihre Krallen berührten den Boden.
Palagrin landete auf dem Boden, strauchelte und hob wieder ab, dann landete er erneut und flatterte heftig mit den Flügeln, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Revyn hielt sich noch an ihm fest, als er längst nicht mehr galoppierte, sondern gelassen zu den anderen Drachen tänzelte. Erst als er Yelanah lachen hörte, richtete er sich mühselig auf.
»Das«, erklärte Yelanah schwer atmend, »ist unsere Welt.« Und sie wies rings um sich, wo die Wälder und Berge bis in die Unendlichkeit reichten. Revyn versuchte, sich interessiert umzusehen, doch er machte dabei offenbar einen so kläglichen Eindruck, dass Yelanah wieder lachte. »Keine Sorge, das alles werden wir uns zu Fuß ansehen! Für Isàn und Palagrin ist es sowieso viel zu anstrengend, lange Strecken mit uns zu fliegen.«
Sie lenkte Isàn zurück in den Wald und Revyn galoppierte ihr mit einem leichten Gefühl von Übelkeit nach.
Die Wälder blieben so neblig, dass Revyn und Yelanah einander kaum noch ausmachen konnten. Die Bäume, die Sträucher, ja selbst einige Drachen, die etwas abseits folgten, wurden zu schemenhaften Umrissen. Revyn fühlte sich wie in einem Traum … und erschrak, als ein Grollen erklang. Erst nach einem Augenblick wurde ihm klar, dass es Donner war. Ein Gewitter lag in der Luft. Die Dunstschwaden zogen gehetzt an ihnen vorbei und die Baumkronen rauschten und pfiffen. Revyn erwartete mit jedem Augenblick heftigen Regen, doch der Himmel ließ sich Zeit. Nur der Donner rumorte unheilvoll weiter. Die Drachen schnaubten unruhig und setzten ihre Krallen zögerlicher auf die Erde, als müssten sie achtgeben, keinen falschen Schritt zu tun. Selbst Yelanah schien ein wenig blasser geworden zu sein.
»Hast du Angst vor Gewittern?«
Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Gewitter, nein, natürlich nicht. Es sind die Nebel … sie lösen sich nicht auf. Ich habe dir doch gesagt, dass die Tore zwischen den Welten sich öffnen, wenn die Nebel steigen.«
»Falls Drachenfänger kommen, kümmere ich mich um sie«, sagte Revyn leise.
Yelanah lachte. »Drachenfänger! Die sollen bloß kommen, ich habe schon genug ins Jenseits geschickt. Nein, nicht die irdische Wirklichkeit macht mir Sorgen … Gestern habe ich dir erzählt, dass da etwas in den Nebeln lauert und die Dar’ hana in die Unwirklichkeit holt.«
Plötzlich
Weitere Kostenlose Bücher