Das Drachentor
Zeit schweigend am Waldrand und betrachtete den verwüsteten Weg. Hoch und dunkel beugten sich die Bäume über sie. Alles kam ihr kleiner vor - die Schlacht in ihrer Erinnerung hatte auf einem viel größeren Platz stattgefunden.
Ein Stich durchfuhr sie, als sie daran dachte. Der Kampf lag nun schon fast zwei Wochen zurück. Seitdem hatte sie täglich an den Ufern des San Yagura Mi Dâl auf Revyn gewartet. Er war nicht gekommen, was hieß, dass er irgendwo gefangen gehalten wurde. Eine tückische Stimme flüsterte Yelanah zu, dass er auch tot sein konnte - aber sie weigerte sich, das zu glauben. Octaris hatte gesagt, er sei ein Sohn von Ahiris. Und wenn sie auch nicht an die dunklen Prophezeiungen des Königs glaubte - dass Revyn eine große Rolle für die Zukunft der Drachen spielte, daran glaubte sie aus ganzem Herzen. Er konnte unmöglich tot sein.
Aber nach zwei Wochen war ihr Vertrauen ins Schicksal zerronnen. Sie wollte nicht mehr glauben und hoffen, sie wollte handeln. Revyn würde gewiss nicht durch ein Wunder gerettet werden - sie musste seiner Bestimmung schon nachhelfen.
Als Yelanah auf den Weg trat, schlossen sich hinter ihr die Nebel. Sie warf einen kurzen Blick zurück und meinte Isàn und die anderen noch zu sehen, wie sie mit dem Dunst verschwammen. Der Stamm konnte sie nicht mehr durch die Welt der Menschen begleiten - zu unerträglich war ihnen die Wirklichkeit geworden. Auch Yelanah spürte, wie das Gewicht dieser Welt auf sie niederdrückte, wie all die Naturgesetze, die in den Nebeln fließend waren, hier zäh und fest wurden. Ihr war, als verwandle sich auch das Blut in ihren Adern zu Lehm, und jeder Schritt fiel ihr schwerer.
Die Verletzungen vom Kampf waren noch nicht ganz verheilt. Ein paar tiefere Schrammen auf ihrem Rücken hatten sich entzündet. Der lederne Quersack, den sie mit Bom für die Reise gefüllt hatte, rieb schmerzhaft gegen ihre offenen Stellen. Natürlich hatte Khaleios ihr Arzneien mit den üblichen Speisen zum Ring der Eichen bringen lassen, doch Yelanah hatte alle Gaben vor den grünen Wänden ihres Heims verderben lassen. Wenn die Elfen ihr nicht richtig helfen wollten, sollten sie ihr gar nicht helfen.
Yelanah folgte den Huf- und Radabdrücken, die von der Waldstraße fortführten. Es war nicht schwer, ihnen nachzugehen, denn die Zerstörung war unübersehbar: Revyns Entführer hatten einen Pfad aus zertretenem Gras und geknickten Baumsprösslingen zurückgelassen.
Der Wind strich durch das Laub und trug Yelanah die ersten gelben und roten Herbstblätter zu. Sie fröstelte, obwohl die Kälte ihr normalerweise so wenig anhaben konnte wie den Waldtieren. Allmählich wurde ihr der Quersack schwer. Sie schob ihn von einer Schulter auf die andere. Das Waffenhemd aus harten Lederstreifen zwängte sie ein. Yelanah ging schneller und versuchte, nicht mehr an die Unannehmlichkeiten zu denken. Ihr kam alles nur viel anstrengender vor, weil sie so lange nicht mehr in der Wirklichkeit gewesen war und die vielen kleinen Verletzungen sie noch immer schwächten.
Wäre doch der Stamm bei ihr! Könnte sie doch nur kurz auf Isàn reiten und sich ausruhen … Aber die Drachen konnten sie natürlich nicht begleiten - nicht auf einem so langen, so unsicheren Weg. Sie würde die Wälder eine längere Zeit verlassen und keinen Zugang zur Nebelwelt mehr finden. Außerdem waren in den vergangenen Tagen zu viele Drachen gefangen genommen worden. Die Haradonen sammelten sie in den Wäldern für ihren Krieg ein; dann wurden sie von Myrdhanern überfallen, verloren die Drachen wieder und mussten neue fangen. Es war sicherer für die Drachen, die Nebel nur im Notfall zu verlassen. Nur wenn der Ruf der Unwirklichkeit unwiderstehlich wurde.
Yelanah spürte, wie erneut hilfloser Zorn in ihr aufstieg. In der Wirklichkeit verloren die Drachen ihre Freiheit, in den Nebeln verloren sie ihren Verstand - ihr Leben bestand nur noch aus der Flucht von einer Welt in die andere. Wie lange sollte das weitergehen? Wie lange konnten sie so durchhalten?
Yelanah ging zielstrebig weiter, kletterte über einen umgestürzten Baumstamm, strich die Zweige einer Tanne zur Seite und trat mit großen Schritten über wucherndes Dornengestrüpp. Zorn und Tränen nutzten gar nichts. Sie musste ihren Kummer zurückdrängen.
Als es dunkel wurde, hatte sie immer noch nicht den Waldrand erreicht. Wie zermürbend es doch war, wenn Zeit und Entfernung festen Regeln folgten! Yelanah schnitt mehrere Tannenzweige ab und
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