Das Drachentor
war nass. Sie schloss die Augen. Zitternd griff sie nach den Felsen und kletterte auf allen vieren den steinigen Hang hinauf, Stück für Stück. Der Drache folgte ihr schweigend. Als sie den Hügelkamm erreichte, sank sie in den Schnee. Der Wind blies ihr über den zitternden Körper. War ihr heiß oder kalt? Sie konnte es nicht mehr sagen.
Mit letzter Kraft öffnete sie die Augen und blickte nach unten. Mehrere haradonische Truppen hatten Alasars Heer aus dem Hinterhalt angegriffen, doch die Myrdhaner waren dabei, den Kampf unter Kontrolle zu bringen. Am Horizont rückte das haradonische Hauptheer näher. Das verschneite Land verdunkelte sich unter der Menschenflut.
Revyn, dachte Yelanah. Sie dachte nur immer wieder seinen Namen. Dann ließ sie den Kopf in den blutigen Schnee sinken und stieß ein heiseres Schluchzen aus. Die Dar’hana waren verloren.
Revyn lief auf das haradonische Lager zu, ohne sich versteckt zu halten. Was hatte er schon zu befürchten? Er war schließlich selbst ein haradonischer Drachenkrieger.
Innerhalb von Sekunden hatten ihn die Windreiter erspäht, die ihre Runden um das wohlgeordnete Heer flogen, und ein Horn wurde geblasen. Kaum später bebte die Erde und ein Trupp Drachenreiter preschte hinter den Hügeln hervor. Revyn hob die Hände und blieb stehen. »Ich bin Haradone! Ich bin Haradone, ich komme aus Logond!«
Die Drachenkrieger hielten vor ihm an. Ihr Anführer machte seinen Helm auf. Wegen des sanften Schneefalls dauerte es einen Augenblick, ehe Revyn das breite rote Gesicht erkannte. »Meister Morok!«, stieß er überrascht aus. »Meister Morok - ich bin’s, Revyn! Einer der Drachenkrieger aus Logond! Der Zähmer, wisst Ihr noch?«
Der alte Händler starrte ihn verblüfft an. »Revyn?«
»Ich war in myrdhanischer Gefangenschaft! Ich war … aber jetzt bin ich wieder da und …«
Meister Morok reichte ihm die Hand und Revyn ließ sich von ihm auf seinen Drachen ziehen. »Alles in Ordnung!«, rief der alte Händler seinen Männern zu. »Er gehört zu uns. Zurück zum Heer!«
Die Soldaten gaben ihren Drachen die Sporen und galoppierten zurück. Revyn hielt sich an den Sattelschlaufen fest.
Konnte es so einfach sein? Nein, das Schwierigste lag noch vor ihm. Er fragte sich, wie Meister Morok reagieren würde, wenn er die Drachen befreite. Gleich würden er und die Männer rings um ihn Feinde sein.
Als sie im Lager ankamen, bedeutete der Händler ihm, abzusteigen. »Danke«, sagte Revyn, doch er wagte nicht, Meister Morok in die Augen zu blicken.
»Geh zu den Drachenkriegern von Logond.« Der Händler wies in eine Richtung. »Man wird bestimmt noch eine Rüstung für dich auftreiben und einen Drachen auch. Haradon ist mit seiner ganzen Streitmacht angerückt.« Revyn nickte.
»Wir sehen uns bestimmt später im Heer«, sagte Meister Morok noch. Dann gab er seinem Drachen die Sporen und führte seine Männer zurück zu ihrer Patrouille.
Einen Moment lang blieb Revyn reglos stehen. Hinter ihm herrschte der Lärm des Lagers. Hundert Stimmen, die durcheinanderriefen. Tausend Füße im Schnee. »Ihr Götter, steht mir bei«, flüsterte er. Dann drehte er sich um und ging los. Die Fußsoldaten waren dabei, sich zu formieren. Zu endlosen Reihen stellten sie sich auf, packten ihre Waffen und Schilde und lauschten nach den Befehlen ihrer Generäle.
Hätte Revyn damals nicht Meister Morok getroffen und Palagrin gestohlen, dann würde er wahrscheinlich auch unter diesen Männern sein, ein unbedeutender Stein in einer Wand, die da war, um niedergerissen zu werden. Hätte er Yelanah nicht kennengelernt, wäre er jetzt noch ein Drachenkrieger. So leicht hätte sein Leben eine andere Richtung nehmen können. Und die ganze Welt der Drachen - die Welt, in die er gehörte - wäre für immer hinter Nebeln geblieben.
Die Kavallerie bezog hinter den Fußsoldaten Position. Manche Männer saßen kampfbereit auf ihren Pferden und murmelten hastige Gebete. Hier und da erklangen Hammerschläge, wo Schmiede die Hufeisen der Pferde in letzter Minute erneuerten. Suppe und Fleisch wurden an großen Kesseln ausgeschenkt. Einer der Männer hatte sich vor Aufregung übergeben.
Dieser Kampf war nicht wie das letzte Mal - diesmal würden Männer auf beiden Seiten zu Tausenden sterben. Aber wenn Revyn und Yelanah nicht erfolgreich waren … Er lief schneller. Ohne Drachen würde womöglich sogar die Schlacht ausfallen … Aber er wusste, dass dieser Gedanke eine unsinnige Hoffnung war. Der Krieg
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