Das Drachentor
schlüpfte in ein Hemd und schloss sein Wams. Darüber zog er einen mit Eisennieten besetzten Harnisch. Sorgfältig schnallte er sich seine Schulterpanzer um und band die Schnüre seiner Stiefel zu. Wie er sich ankleidete, glich einer Zeremonie. Jede seiner Bewegungen war langsam und präzise, als müsse er sich genau darauf konzentrieren, was er tat. Zuletzt öffnete er den Zopf, mit dem er seine vorderen Haarsträhnen zurückgehalten hatte, und schlang die Haare zu einem kleinen Knoten im Nacken.
Erst als er fertig war, trat Ardhes ins Zelt. Alasar sah sie an, als überrasche ihn nicht, dass sie ihn aufsuchte. Dabei hatten sie sich in den fünf Tagen, seit sie Awrahell verlassen hatten, so gut wie gar nicht gesehen.
»Bleibt draußen«, befahl sie ihren Dienerinnen und ging ein paar Schritte auf Alasar zu. Die Feuerschale stand zwischen ihnen. Das Holz war feucht von der langen Reise und knackte und zischte. Draußen wurden Befehle gerufen. Der Wind spielte mit der Zeltplane und schlug den Stoff auf und ab.
»Wann findet die Schlacht statt?«, fragte Ardhes.
Alasar sah sie an, unentschlossen, ob er ihr ehrlich antworten sollte. »Sobald hier alles fertig ist, formiert sich das Heer und erobert die Grenze.«
»Trotz der haradonischen Armee, die dort wartet?«
Alasar nickte knapp. »Wir sind nicht hergekommen, weil wir dachten, uns wird was geschenkt.«
Ardhes schwieg eine Weile. Dann blickte sie Alasar forschend in die Augen. »Was passiert danach? Willst du der König von Haradon werden?«
Seine dunklen Augen leuchteten kalt. »Nicht von Haradon.«
»Aber Haradon ist das größte Land der …« Sie musste lächeln.
»Du willst die ganze Welt. Deshalb wolltest du nicht, dass unser Heer die Banner von Awrahell trägt. Deshalb bist du nicht der König von Myrdhan geworden.«
»Du glaubst nicht, dass ich es kann?«
Leise antwortete sie: »Doch.«
Er trat um die Feuerschale herum und stellte sich vor sie. Sie sahen sich an und sie erkannten sich. Keiner sagte ein Wort. Jetzt hätte nichts aufrichtiger sein können als ihr Schweigen.
Alasar strich mit beiden Händen über ihren Mantelkragen. Dann beugte er sich vor und küsste sie. Ein Schauer schoss ihr die Wirbelsäule hinauf. Seine Hand fuhr von ihrem Nacken zu ihrer Wange. Doch egal was seine Hände, seine Lippen taten, es hatte nichts mit dem Mann zu tun, der vor ihr stand. Dann senkte er die Lider. Auch Ardhes schloss die Augen. Der sanfte Druck seiner Lippen verschwand. Sie spürte seinen Atem. Das erste Mal dachte sie daran, dass auch Alasar eine Fremde geheiratet hatte. Ob er sich manchmal fragte, an welche Unbekannte er da gebunden war?
»Ich war nicht darauf vorbereitet, dich zu kennen«, sagte er. Ardhes blickte auf. Er hatte die Augen noch immer geschlossen, ganz nah an ihrem Gesicht. Wieder sah es aus, als würde er sich auf etwas konzentrieren. Als versuchte er, eine bestimmte Vorstellung in sich heraufzubeschwören.
»Wer ist das schon?«, gab Ardhes zurück. Er runzelte leicht die Stirn, ohne sich sonst zu bewegen. Auch Ardhes blieb reglos. Sie fühlte die Wärme seines Körpers, obwohl sie sich kaum berührten. »Wir werden alles zerstören, nicht wahr?« Es war keine Frage, sondern eine Erkenntnis. »Mit uns wird eine Welt untergehen. Wir sind ein Fluch.«
Er sah sie an. »Ja.« Seine Hände streiften ihre Arme. Dann ließ er sie los und trat zurück. »Die Welt hat mich geformt. Jetzt werde ich sie formen.«
Ardhes starrte in die Feuerschale. Mit einem lauten Knacken brach ein Holzscheit.
Yelanah war es gelungen, unbemerkt ins myrdhanische Lager einzudringen: Zufällig war eine Truppe Fußsoldaten von einer Hasenjagd zurückgekommen. Als sie sich den Menschen anschloss, unterschied sie sich kaum von den ängstlich dreinblickenden Bauern.
Unbemerkt lief sie durch das Lager, vorbei an provisorischen Zelten und Essensschlangen. Niemand interessierte sich für sie. Nach einer Weile merkte sie, dass die meisten Menschen sich hier genauso verloren fühlten wie sie: Tatsächlich sahen nur die wenigsten wie echte Krieger aus. Ein zitterndes Bauernmädchen packte für die Schlacht ihre Tasche mit Steinen voll. Ein alter, zeternder Mann und eine hysterische Frau stritten sich um einen Speer. Schließlich schlug die Frau den Alten nieder und rannte mit der Waffe weg. Fast wäre sie dabei gegen Yelanah gestolpert. Yelanah wich zur Seite und die Frau umklammerte erschrocken ihren Speer.
Hastig lief Yelanah weiter. Was ging hier vor? Waren
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