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Das Drachentor

Titel: Das Drachentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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einfach weggegangen«, flüsterte sie, zog die Beine an den Körper und umschlang sie mit ihren rundlichen Kinderarmen.
    »O Magaura -« Es war das erste Mal, dass sie Alasars Augen in Tränen schwimmen sah. »Es tut mir so leid. Du darfst mir nicht böse sein. Wenn ich dich nicht hab - dann, dann hab ich nichts mehr.«
    Er ließ die Holzfigur fallen und umarmte Magaura. Jetzt da auch Alasar leise schluchzte, zerschmolzen all ihre Wut und ihre Rachepläne, und die beiden Geschwister weinten sich Arm in Arm in den Frieden.

Ein Menschenjunge
    Ardhes wusste, dass es dumm war und kindisch, aber ihre Neugier besiegte die Vernunft immer wieder. Schon viermal hatte sie die Beschwörung durchgeführt und in die Seele des Fremden gespäht.
    Ihr Vater hatte geschlafen, als Ardhes in dieser Nacht zu ihm gekommen war. Seitdem war fast eine Stunde verstrichen. Sie war sicher, dass er fest schlief. Leise kniete sie vor dem Feuer nieder und zeichnete mit dem Finger die Runen in die Asche. Wie von selbst schlüpften ihr die Worte aus dem Mund, und sie erschrak beinahe davor, wie leicht ihr die elfische Sprache fiel - hätte ihre Mutter sie jetzt gehört, wäre sie blass vor Entsetzen geworden.
    Aber Königin Jale hörte sie nicht. Niemand hörte sie. Behutsam strich Ardhes mit der Hand über die Schale mit dem Wasser und beugte sich darüber. »Zeigt ihn mir. Zeigt mir den Jungen!«, flüsterte sie. Wieder zerfloss die Spiegelung des Feuers wie flüssige Farbe im dunklen Wasser und formte sich neu. Ardhes hielt gebannt die Augen offen.
    Sie sah Gräser. Wogende Gräser tanzten auf der glatten Oberfläche des Wassers. Dahinter lag eine Hütte mit einem Strohdach. Das war die Hütte, in der der Junge lebte. Als sie sie zum ersten Mal gesehen hatte, war Ardhes bestürzt gewesen, weil der Junge offenbar kein König oder Prinz war - doch dann hatte sie überlegt, dass er womöglich doch königlichen Blutes, aber verschleppt oder in die Obhut einer Bauernfamilie gegeben worden war. Es gab immer Erklärungen. Fest stand, dass sie mit ihm ihre Zukunft teilen würde, also müsste er früher oder später König werden, wenn er um sie werben wollte.
    Nun sah Ardhes verschwommen eine Gestalt, die aus der Hütte kam. Es war ein Mann und er blutete im Gesicht. Eine hagere Frau lief ihm nach und stürzte weinend zu Boden. Der Mann drehte sich nicht zu ihr um. Er ging. Dann erhob sich jemand aus den Gräsern, und ja - er war es, der Junge!
    »Ardhes?« Erschrocken fuhr sie hoch. Das Wasser schwappte in wilden Wellen über den Rand der Schale. Draußen auf dem Balkon richtete König Octaris sich auf und sah sich um. Hastig wischte Ardhes die Runen in der Asche fort, tauchte die Hand ins Wasser und trocknete sie an ihrem Nachthemd.
    »Ja? Vater, ich bin hier!« Sie lief schon auf ihn zu und war neben ihm, als er aufblickte.
    »Hast du schon lange gewartet? Verzeih mir.« Octaris runzelte leicht die Stirn, während er sie musterte.
    »Nein, gar nicht, ich … hab nicht lange gewartet.«
    »Gerade bin ich aufgewacht, weil mir etwas Merkwürdiges in den Sinn gekommen ist.« Ardhes spürte, wie ihr Gesicht brannte. Etwas in den Sinn kommen, so nannte ihr Vater es, wenn ihn Visionen heimsuchten. Sie wagte nichts zu sagen, aus Angst, ihre Stimme könne sofort alles verraten.
    »Du weißt doch, dass ich schon lange nach ihm suche«, fuhr Octaris fort und blickte nachdenklich in die Nacht hinaus. »Nach dem Einen, der so viel aus der Welt nehmen wird, dass wir sie danach nicht wiedererkennen werden.«
    »Hm-hm«, murmelte Ardhes, obwohl sie nicht die geringste Ahnung hatte, von welchem der unzähligen Männer und Frauen und Kinder, die er in seinen Visionen sah, Octaris sprach.
    »Sein Geist war schwer zu finden. Es schien, als hätte er sich versteckt, als sträube er sich noch gegen das Schicksal, das ihm bevorsteht - als wolle er noch nicht derjenige werden, der er werden muss.« Octaris lächelte entzückt über diese Vorstellung in sich hinein. »Und nun, einfach so, als ich schlief … da kam er zu mir. Als hätte er sich jetzt entschlossen, sein vorherbestimmtes Leben anzufangen.« Ardhes beobachtete eine Weile, wie ihr Vater versonnen in die Dunkelheit starrte. Offenbar hatte er nichts von ihrer heimlichen Beschwörung mitbekommen. Er dachte bloß an diesen Einen, nach dem er - daran erinnerte Ardhes sich jetzt wieder - in den Visionen schon seit langer Zeit vergeblich Ausschau hielt.
    »Ich glaube, ich fühle mich bereit, zu ihm zu gehen«, sagte

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