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Das Drachentor

Titel: Das Drachentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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du denn nie müde?«, nuschelte Rahjel, der sich zum Schlafen schon eingerollt hatte und kaum die Augen offen halten konnte.
    »Ist für Magaura«, antwortete Alasar.
     
    Magaura hatte es nicht geglaubt. Alasar hätte sie niemals zurückgelassen. Niemals. Doch als sie die leeren Schlaflager der anderen Kinder entdeckte, die mit ihm gegangen waren, konnte sie nicht mehr daran zweifeln: Er war ohne sie aufgebrochen. Tränen schossen in ihre Augen, während sie vor dem leeren Lager ihres Bruders stand. Sie merkte nicht, dass Igola näher gekommen war, bis ihre ruhige Stimme hinter ihr erklang.
    »Sei ihm nicht böse. Er hat nur Angst um dich, weißt du. Deshalb wollte er dich nicht mitnehmen. Einen so lieben Bruder gibt es nicht oft.«
    Magauras Nasenflügel bebten. Als sie Igolas Hand auf ihrer Schulter spürte, schlug sie sie weg und wich zwei Schritte zurück. »Lass mich!«
    Igola zog erschrocken die Hand zurück. Wie die Augen des Mädchens blitzten! Wie die einer Wölfin. Wie die Alasars … »Ich wollte nicht -«
    »Lass mich!«, fauchte Magaura wieder. Eine Träne rollte ihr über das Gesicht. Dann stieß sie Igola zur Seite und rannte in die dunklen Gänge der Höhlen davon.
    Mehrere Tage blieb Magaura verschollen. Nur wenn das Essen verteilt wurde, tauchte sie unter den anderen Kindern auf, finster und verschlossen, und sobald sie ihre Portion in den Händen hielt, verschwand sie wieder.
    Das von Alasar gebrochene Versprechen schmerzte sie mehr als der unglückselige Tag, da die Haradonen ihr Dorf zerstört hatten. In den vergangenen Monaten war er alles geworden, woran sie sich klammern konnte. Und nun war sie das erste Mal alleine.
    In der Dunkelheit der abgeschiedenen Höhlen saß sie da und erfüllte die Grotten mit ihrem Schluchzen. Sie verkroch sich in kleinen Felsspalten und verbarg das Gesicht in ihrem Rock, lief durch die engen Gänge, entschlossen, nie wieder zurückzukommen und Alasar zu zeigen, wie es sich anfühlte, verlassen zu werden - aber zuletzt kletterte sie doch wieder aus jedem Versteck und kehrte bleicher und stiller zu den anderen zurück, um ihr Essen zu holen.
    Die Einsamkeit begann, sie zu verändern. Nach dem zweiten Tag fing sie an, sich leise Lieder vorzusingen und mit sich selbst zu sprechen.
    »Nein, nie wieder rede ich mit Alasar. Ich spreche nie mehr mit ihm«, murmelte sie, während ihre Finger über den rauen Stein fuhren und sie einen Fuß vor den anderen in die unbekannte Dunkelheit setzte. »Ich bleibe für immer stumm. Und mit Rahjel rede ich auch nie mehr. Doch, mit ihm rede ich noch. Aber nur um Alasar wütend zu machen.« Immer mehr Strafen dachte Magaura sich aus, denn sie konnte mit derselben Leidenschaft hassen und rächen wie Alasar.
    Nach dem dritten Tag versteckte sie sich in der Nähe der anderen, um sie zumindest beobachten zu können. »Hier bleibe ich, bis Alasar kommt. Und dann verstecke ich mich und komm erst viel später zurück.«
    Aber Alasar kam nicht am vierten Tag und auch nicht am fünften und sechsten. Langsam machte Magaura sich Sorgen. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, als sie sich an all die Schauergeschichten erinnerte, die Alasar ihr von den Haradonen erzählt hatte. Sie sah Alasar unter ihren Äxten liegen, er strampelte in riesigen Armen und konnte sich nicht befreien. »Dann höre ich einfach auf zu essen!«, schluchzte Magaura in ihre Hände. »Dann esse ich nicht mehr, bis ich im Schlaf tot bin wie die Alten im Winter.«
    Am siebten Abend erwachte Magaura durch Geräusche. Sie richtete sich auf und blinzelte. Wie spät mochte es sein? Als ihre Augen sich ans Halbdunkel gewöhnt hatten, sah sie plötzlich Alasar, der vor ihr auf die Knie fiel. Er atmete hastig.
    »Magaura! O bei allen Göttern, ich hab dich überall in den Grotten gesucht! Magaura, wieso - wieso versteckst du dich hier?« Als er sie umarmen wollte, wich sie zurück.
    »Magaura«, sagte er und verstummte. Dann suchte er hastig in seiner Tasche und hielt ihr etwas entgegen. Im Fackellicht erkannte sie einen kleinen geschnitzten Holzdrachen. Ihr Blick blieb lange an dem winzigen Kopf hängen, der ein paar ungeschickte Hörner trug, dem unförmigen Schwanz, den klobigen Beinen. Aber sie machte keinerlei Anstalten, das Geschenk anzunehmen.
    »Magaura, das ist für dich«, sagte Alasar und hielt ihr die Figur näher hin. »Nimm es doch. Ich habe es selbst für dich gemacht. Drei Nächte hab ich dran gesessen und gearbeitet. Nimm es doch!«
    Magaura weinte lautlos. »Du bist

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