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Das Drachentor

Titel: Das Drachentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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Schreien gesteigert. Nun blickte der Mann wieder ins Publikum und ließ den Arm sinken. »Aber für Elfen wie ihn sind diese Taten ein Vergnügen.«
    Schimpfwörter wurden gerufen, gegen den Gefangenen und gegen alle Elfen überhaupt. Revyn sah sich in der Menge um - überall standen Elfen, doch sie wirkten vollkommen unberührt, als hörten sie die Anschuldigungen nicht. Auch dass einer von ihnen auf der Tribüne stand, um hingerichtet zu werden, schien ihnen egal zu sein.
    »Dieser Mann«, brüllte der Redner weiter, »hat einen Mord begangen! Er hat getötet! Und zwar ein Kind.« Die Menge tobte. Von irgendwo warf jemand einen Stein, doch er verfehlte den Gefangenen ein gutes Stück und schlug klappernd auf der Straße auf.
    »Huh!«, machte Capras und grinste. »Der reinste Zirkus!«
    »Danach gibt es bestimmt Prügeleien«, murmelte Jurak.
    »Bei denen du dich wie immer raushältst«, bemerkte Twit.
    Jurak presste die Lippen aufeinander, dann sah er Revyn an. »He, Revyn, alles in Ordnung?«
    Revyn antwortete nicht. Jetzt wurden auch Twit und Capras auf ihn aufmerksam. »Mann, du bist ja so weiß wie ein ausgeblutetes Schwein!«, meinte Capras freundlich. »Ist doch noch niemand gestorben.«
    Twit schnaubte verächtlich. Aber Revyn ging gar nicht darauf ein. Mit zusammengebissenen Zähnen stand er da und starrte den Redner an. Mit jedem Ruf aus der Menge, mit jedem entsetzten Laut glaubte er selbst dort oben auf der Tribüne zu stehen. Eiskalter Schweiß bedeckte seinen Rücken.
    »Ein Kiiind!«, rief der Redner. Keine Mutter hätte es herzzerreißender beklagen können. Revyns Knie zitterten. »Er hat ein Kind getötet, der feige Mörder! Er hat es verschleppt. Er hat ihm das zarte Genick gebrochen. Er hat sein Blut getrunken wie ein wildes Tier, denn das ist er, genau das: ein wildes Tier! Er ist mit den Bestien des Waldes verbrüdert.« Speicheltropfen flogen dem Mann aus dem Mund. Scheinbar rasend vor Zorn, ging er die Tribüne auf und ab. Der Gefangene stand noch immer reglos neben dem Scharfrichter.
    »Gute Bürger von Logond! Euer Urteil soll gelten. Sagt mir: Was wollen wir mit dem Mörder tun?«
    Alle brüllten durcheinander.
    »Hängt ihn!«
    »Schlagt ihm den Kopf ab!«
    »Er soll bei lebendigem Leibe begraben werden!«
    »Er soll brennen!«
    Der Redner versuchte, die aufgebrachte Masse zu beruhigen.
    Mehrere Minuten verstrichen. Revyn wurde angerempelt und mehrmals auf die Füße gestiegen. Manche Leute grölten auch bloß, ohne irgendein Urteil vorzuschlagen.
    Twit sah sich mit einem Grinsen um. »Was sind das denn für lahme Vorschläge? Die Leute werden wirklich immer einfallsloser.«
    Nach und nach wurde es wieder ruhiger. Der Redner ergriff das Wort. »Ich habe gehört. Ich habe gehört und verstanden, brave Bürger von Logond.«
    Nun trat erwartungsvolles Schweigen ein. Der Redner stellte sich neben den Scharfrichter und flüsterte ihm etwas zu. Der Scharfrichter überlegte eine Weile, dann deutete er ein grimmiges Nicken an. Der Ratsherr zog sich zurück. Die Tribüne gehörte nun dem Scharfrichter. Der wandte sich zu einem Holzblock um, auf dem er zuvor mehrere Waffen und Werkzeug ausgebreitet hatte. Nach einer kurzen Spannungspause ergriff er ein langes Beil und hielt es in die Höhe. Heftiger Jubel brach aus, hier und da durchsetzt von den Buhrufen derer, die sich einen spektakuläreren Tod für den Verurteilten gewünscht hätten.
    Revyn fühlte sich vom Lärm wie betäubt. Er starrte den verurteilten Elf an. Ein sonderbares Lächeln lag auf seinem schweißnassen Gesicht, glänzend wie aus Porzellan. Sein Blick schien direkt auf Revyn gerichtet.
    Er wusste es. Der Elf wusste es. Wusste, dass Revyn in der Menge stand und dasselbe getan hatte. Deshalb lächelte er ihn an!
    Der Scharfrichter drückte ihn auf die Knie. Der Elf wehrte sich nicht. Seine Miene hatte sich nicht verändert. Das Lächeln würde er in den Tod mitnehmen. Revyn spürte nicht, dass er die beiden Reiskuchen, die er noch in der Hand hielt, zerdrückt hatte. Die klebrige Masse quoll ihm zwischen den Fingern hervor. Das Beil setzte am Nacken des Verurteilten an. Langsam hob der Scharfrichter es wieder in die Höhe. Ein Schweißtropfen war daran hängen geblieben. Die scharfe Klinge blitzte im Sonnenlicht. Dann sauste sie hinab.
    Revyn stieß keuchend die Luft aus. Alles kreiste um ihn. Weg, er wollte weg. Jemand hielt seinen Arm fest. Die tobende Menge schien ihn aufhalten zu wollen. Alle kreischten und brüllten. Sie

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