Das Drachentor
wie hier gewesen. Vor allem hatte er sie noch nie am helllichten Tag gesehen. Dabei musste er sich eingestehen, dass er überhaupt noch nicht viel von Logond bei Tageslicht gesehen hatte - er war immer nur nachts unterwegs.
»Kommt, essen wir was. Ich könnte’ne ganze Kuh verdrücken!«, sagte Capras und steuerte eine Garküche an. Der Besitzer sah die vier Drachenkrieger auf sich zukommen, wischte sich die dicken Finger am Hemd sauber und setzte ein Lächeln auf.
»Was darf es sein, meine Herren? Ich habe frische Lauchsuppe«, sagte er und hob dabei den Deckel eines großen Kessels, sodass ihnen duftender Dampf entgegenstieg. »Oder ich habe köstlichen Karpfen mit Pfefferminz in Honigsoße. Oder wie wäre es mit Speck und Linsen? Oder Reiskuchen?« Jedes Mal hob er den Deckel eines anderen Topfes.
»Was ist im Reiskuchen?«, fragte Revyn.
»Süße Bohnenfüllung«, erklärte der Koch. Revyn entschied sich für die Reiskuchen. Der Händler gab ihm drei der dampfenden Bällchen mit bloßen Fingern. »Das macht einen halben Taler.« Revyn hatte erst vor zwei Tagen seinen ersten Lohn bekommen und war stolz, ein wenig davon auszugeben. Der Koch dankte ihm ausgiebig, ehe er Capras, Twit und Jurak bediente, die sich ebenfalls für Reiskuchen entschieden hatten.
»Und, seid Ihr auch wegen dem Mörder hier?«, fragte der Mann beiläufig. Revyn, der gerade in einen Reiskuchen hatte beißen wollen, ließ ihn erschrocken fallen und fing ihn erst knapp vor dem Boden wieder auf.
»Welcher Mörder?«, erkundigte Capras sich neugierig und tauschte seine Münzen gegen Reiskuchen ein.
»Na, der Mörder, der hier gleich hingerichtet werden soll.« Der Koch wies mit einem Kopfnicken auf die Mitte des Platzes. Revyn drehte sich um und sah eine Holztribüne.
»Das ist eine ziemlich große Sache«, fuhr der Koch fort, während er Twit drei besonders große Reiskuchen gab und sich den Finger an dem Kessel verbrannte. »Ah, verflucht! Jedenfalls ist die halbe Stadt hier versammelt, um den Elf zu sehen. Da, es fängt schon an.«
Revyn, Capras und Twit wandten sich ab und blickten zur Tribüne hinüber, während Jurak sein Essen noch bezahlte. Irgendwo hatten Trommeln zu schlagen begonnen. Die Menge wurde immer dichter, aus allen Gassen drängten neue Leute auf den Platz. Jeder wollte einen besseren Standort ergattern und näher an die Tribüne kommen. Die Trommeln wurden lauter. Twit stieg auf die Zehenspitzen, um besser zu sehen. Aus einer Straße schritt eine lange Prozession von Trommlern und Soldaten. In ihrer Mitte ging ein schwarz gekleideter Scharfrichter und neben ihm ein dicker Mann in den Gewändern des Stadtrates. Ein Ochse zog einen Wagen hinter ihnen her. In dem Wagen stand reglos und mit unbeteiligter Miene ein Mann.
Die Menge wich respektvoll zurück. Die Prozession erreichte die Tribüne. Die Trommler und Soldaten stellten sich ringsum auf, während der Ratsherr schwerfällig auf das Holzpodest stieg. Der Scharfrichter öffnete den Wagen und zog den Gefangenen heraus. Gemeinsam betraten auch sie die Tribüne und die dumpfen Trommelschläge verstummten mit einem Mal. Gebannte Stille trat ein. Der Ratsherr ließ seinen Blick durch die Menge wandern.
»Wer ist das?«, fragte Revyn Capras leise.
Capras schluckte einen Bissen Reiskuchen hinunter. »Das ist der Anstachler!«, flüsterte er. »Der Kerl, der die ganze Vorstellung führt.« Revyn wandte sich wieder der Tribüne zu. Er hatte nicht gewusst, dass das Ganze eine Vorstellung sein sollte.
Der Anstachler hatte das schwammige Gesicht erhoben, sodass das Sonnenlicht die vielen kleinen Schweißperlen darauf zum Funkeln brachte. »Männer!«, rief er. »Frauen! Kinder von Logond, höret her!« Er warf ein herausforderndes Nicken in jede Richtung. »Diesen schönen Tag soll die Gerechtigkeit krönen und die schreckliche Wahrheit zugleich. Denn hier«, er schwenkte den Arm herum und deutete auf den Gefangenen, »hier steht ein Elf vor unseren Augen, in dem das dunkle Böse haust!« Ein lang gezogenes »Ohhh« ging durch die Menge, als hätte der Redner das dunkle Böse in dem Gefangenen mit seinen Worten für alle sichtbar gemacht.
Der Mann ging nun mit lauernden Schritten um den Gefangenen herum, den Zeigefinger noch immer auf dessen Kopf gerichtet. »Er, der sich in unsere schöne Stadt geschlichen hat mit der restlichen Wolfsbrut seines Volkes, er hat die scheußlichsten Taten begangen, die ein Mensch sich vorstellen kann!« Die Stimme hatte sich bis zum
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