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Das Drachentor

Titel: Das Drachentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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Stall.
    Der Drache schnaubte und knurrte. Doch er ließ Revyn näher kommen. Als Revyn die Seile gelöst hatte und ihm die schweren Sandsäcke vom Rücken nahm, sank der Drache kraftlos zu Boden und war ruhig.
    Die Zähmer staunten nicht schlecht. Wedym strich sich immer wieder über den Backenbart und brummte: »In meinem ganzen Leben ist mir so was nicht untergekommen. Was ist dein Geheimnis?
    Ich habe gehört, der Geruch von Eichenblättern, die ein Elfenhexer gesegnet hat, bezähmt Drachen. Trägst du solche Eichenblätter bei dir?«
    Revyn lächelte. »Nein, ich habe nichts dabei.«
    Er kannte sein Geheimnis selbst nicht! Er war bloß ein Junge, der zwei wilden Drachen begegnet war und überlebt hatte. Die Zähmer nahmen ihm nicht ab, dass ihm sein Talent genauso rätselhaft war wie ihnen, doch begeistert waren sie trotzdem. Sie beschlossen, dass Revyn fortan zu jedem neuen Drachen vorgeschickt werden sollte, um ihn zu besänftigen.
    Am Ende des Tages ließen alle ungezähmten Drachen im Stall zu, dass Revyn sie streichelte.
     
    Die nächste Woche verging wie im Flug. Revyn versuchte, die Drachen mit den restlichen Zähmern vertraut zu machen, führte sie aus ihren Ställen und begann, sie auf den Übungsplätzen zu reiten. Eine Weile gab es in Logond mehr als zwanzig Drachen, die allein von Revyn geritten werden konnten. Erst nach und nach brachten die anderen Zähmer die Tiere dazu, auch andere Menschen auf ihre Rücken zu lassen.
    Mit dem Wunderjungen wurde das Zähmen plötzlich viel einfacher. Außer den Drachen beizubringen, wie sie Befehlen zu gehorchen hatten, übernahm Revyn praktisch die ganze Arbeit. Er wurde von den Drachenzähmern in ihrer rauen und einfachen Art gefeiert und war glücklicher als je zuvor. Abends aßen sie zusammen, wenn die Lichter des Viertels längst ausgingen, und teilten ihre Geschichten und ihr Wissen über die Drachen miteinander.
    Oft traf sich Revyn danach mit Capras, Twit und Jurak. Die vier Jungen stahlen sich lachend aus dem Stadtteil der Drachengarde und verbrachten ihre Nächte in lärmenden Schänken, bis sie sich, heiser und schlaftrunken, im Morgengrauen in ihre Betten zurückschleppten. Im nächtlichen Logond entdeckte Revyn das Leben eines Drachenkriegers. Er lernte die Vorzüge seines Ranges kennen und erkannte, dass einem Drachenkrieger nichts verboten oder verweigert wurde. Es war, als gehöre er zu einer besonderen Bruderschaft, an der alle Gesetze und Regeln abperlten. Sie waren mutig, da niemand ihnen Anlass zur Feigheit bot. Sie waren edel, weil ihre Uniformen sie dazu machten. Sie waren klug, da ihr Wort nie angezweifelt wurde. Logond war ihre Stadt und ihre Welt. Mit Capras, Jurak und Twit war Revyn einer von ihnen. Sie feierten und lachten, rühmten sich und blühten auf in ihrem Stolz. Aber Revyn betrank sich nie wieder so furchtbar wie in seiner ersten Nacht. Für ihn waren die heimlichen Ausflüge ein Besuch in eine glänzende Scheinwelt, die er gerne beobachtete, aber richtig dazugehören wollte er nicht.
    Wenn Capras, Twit und Jurak von der Liebe erzählten - die so wechselhaft war, wie bei einem jungen Drachenkrieger zu erwarten -, hörte Revyn meistens zu und machte sich gerne darüber lustig, aber ob er eine solche Liebe wirklich selbst kennenlernen wollte?
    In manchen Augenblicken, wenn er sich fragte, ob er nicht alles vergessen und sich in das Leben eines Drachenkriegers stürzen sollte wie die anderen auch, überkam ihn ein Gefühl, das ihm wie ein Gewicht am Herz hing … Nicht dass er traurig gewesen wäre - er war zufriedener als je zuvor in seinem Leben. Er wurde geachtet. Er wurde verehrt. Aber obwohl es ihm oft gelang, sich selbst so zu sehen, wie alle anderen ihn sahen, blieb von der Vergangenheit eine stille Bekümmertheit, die ihn stets verfolgte. Er wusste, dass keine Trunkenheit, keine Feier, nicht seine geliebte Uniform und auch nicht der Kuss einer Schänkendirne die Leere würden füllen können, die in ihm lauerte.
    Immer wieder, wenn er sich sicher glaubte, wenn er sich in sein strahlendes neues Leben gehüllt hatte wie in eine warme Decke, kehrten die Bilder jener Nacht zurück …
    Manchmal wusste er nicht mehr, ob er glücklich war oder am liebsten sterben wollte. Er konnte nicht sagen, ob er sein Leben liebte oder sich selbst zutiefst verabscheute. Er wusste nicht, wohin er gehörte - in die Vergangenheit, die immer wieder vor ihm aufriss wie ein Strudel, oder die Gegenwart, die ihm entrückt vorkam wie ein Traum. Seine

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