Das Drachentor
hellseherische Kräfte von den geheimnisvollen Kräutern, Wirte versprachen sich volle Geldbörsen und ihren Kunden einen Geschmack, als kostete man warme, süße Luft. Diese Vorstellung war so faszinierend, dass Capras und seine Freunde die Pfeifen sofort ausprobieren mussten. Und tatsächlich war es eine Sensation, schließlich wäre niemand in Haradon außer dem verrückten Elfenvolk auf den Gedanken gekommen, Rauch zu atmen. Auch Revyn hatte sich mit seinen Freunden das seltsame Rauchinstrument geteilt, gehustet und gelacht - aber im Grunde war es ein Spiel, so kindisch wie alle Spiele, für die Capras und seine Freunde sich begeisterten.
So ereignete sich nichts und veränderte sich doch alles in Revyns Leben. Immer seltener dachte er an seine Vergangenheit, und die kleine Hütte samt den Menschen, die in ihr gelebt hatten, rückte in weite Ferne. Manchmal vergaß Revyn, dass er nachts in sein Kissen geschluchzt hatte, weil er so mutlos und allein gewesen war. Jetzt war er den Menschen um ihn herum wichtiger, als er je zu träumen gewagt hätte. Unter den Zähmern wurde er noch immer gefeiert, und Capras hatte sich sogar angewöhnt, ihn neckisch »Drachenbeschwörer« zu nennen.
Erst der Wechsel der Jahreszeiten erinnerte ihn an die dahinfliegenden Wochen. Ungläubig stellte Revyn eines Tages fest, es war ein Vierteljahr her, dass er Logond zum ersten Mal erblickt hatte. Einerseits erschien ihm ein Vierteljahr erschreckend lang - andererseits hatte er das Gefühl, in dem Vierteljahr mehr erlebt zu haben als in seinem ganzen vorherigen Leben, und konnte sich kaum vorstellen, dass die ganze Ewigkeit, die er schon ein Drachenkrieger war, in drei Monate hineinpasste. Und in all der Zeit war er kein einziges Mal zur Kampfausbildung eingezogen worden. Man hatte offenbar bemerkt, dass er nirgendwo so wertvoll war wie bei den Zähmern.
Revyn bedauerte es nicht. Er hatte nie ein Schwert berührt, mit Pfeil und Bogen hätte er sich höchstens den Rücken kratzen können. Nein, er wollte eine Waffe nicht einmal in die Hand nehmen … Wäre es nach ihm gegangen, hätte er für den Rest seiner Zeit nur Drachen gezähmt. Er wollte für immer zusehen, wie aus scheuen, wütenden Tieren sanfte Geschöpfe wurden, und der Erste sein, der eine Menschenhand an weiche Drachennüstern legt. Stille Gespräche führen, dunkle Blicke erwidern und Kummer verstehen … es hätte ihm für die Ewigkeit gereicht.
Aber nichts währt ewig. Schon gar nicht, wenn ein Krieg bevorsteht.
Revyn schrak aus dem Schlaf. Sein Herz trommelte. Die Bilder eines Albtraums zerrieselten wie Sandgebilde und hinterließen einen elenden Nachgeschmack. Es war dunkel in seiner Kammer. Ein Blick aus dem Fenster verriet ihm, dass es noch längst nicht Zeit war, aufzustehen. Langsam sank er zurück. Es war nur ein Traum, beruhigte er sich selbst. Aber der Schreck saß ihm fest in den Gliedern.
Seine Mutter … sie war vorgekommen, auch wenn er nicht mehr wusste, in welchem Zusammenhang. Revyn seufzte in seine Decke. Manchmal hatte er das Gefühl, zwei Leben zu haben und in keins zu gehören.
Ein paarmal drehte er sich auf die eine Seite und auf die andere, dann gab er es auf und schwang die Beine aus dem Bett. Im Halbdunkel zog er sich an, wusch sich das Gesicht in seiner Wasserschüssel und wischte es mit dem Hemdärmel trocken. Dann öffnete er leise seine Tür und schlich durch den langen Korridor hinaus über den Rathausplatz.
Der Mond glomm hell und kalt am Himmel. Als Revyn ausatmete, stiegen Rauchwölkchen auf, dabei war es schon Sommer. Er lief die nächstliegende Treppe zum Steg hoch und ging, die Arme verschränkt und ein wenig fröstelnd, an den Drachenställen entlang.
Allmählich wurde es heller. Die Nachtwachen, die Logond bald mit ihren Hornrufen wecken würden, grüßten Revyn mit der Begeisterung schläfriger Eulen.
Bald erreichte er einen Aussichtsposten und stützte sich auf die Mauer. Er unterdrückte ein Gähnen und beobachtete, wie die ersten Lichter des Tages die Nacht verdrängten. Raureif bedeckte die Mauer und die Wälder schienen wie mit Zucker bestäubt. Gedankenverloren ließ Revyn den Blick über das Land schweifen; die fernen Baumkronen, die Dörfer, die neblige Lichtung … Er kniff die Augen zusammen. Aus dem Wald kam ein Reiter auf einem Drachen galoppiert. Kaum dass er den Reiter erspäht hatte, erklang von den Stadttoren her ein kurzer, tiefer Hornruf. Der Reiter wurde offensichtlich erwartet.
Es dauerte nicht lange,
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