Das Drachentor
da traten aus der hohen Doppeltür des Rathauses mehr als ein halbes Dutzend Männer in roten und schwarzen Umhängen: die Stadträte. Sie sprachen leise miteinander, aber ihre Stimmen waren nur noch ein unverständliches Murmeln, als sie Revyns Ohren erreichten. Dann verstummten sie abrupt. Revyn folgte der Richtung ihrer Blicke und sah bald den Mann auf dem Drachen die Stufen heraufgaloppieren, gefolgt von einem Grüppchen Soldaten im Laufschritt. Er musste wie ein Gejagter durch die Stadt geprescht sein, um so schnell hier oben anzukommen.
Der Mann sprang von seinem Drachen ab, kam auf die Ratsmitglieder zu und verneigte sich. Revyn glitt von seinem Aussichtsposten und lief unbemerkt bis zu den schlichten Holzabzäunungen, die den Steg von innen säumten. Der fremde Mann sprach. Obwohl er aufgeregt klang, waren seine Worte klar und fest. Revyn spitzte die Ohren.
»… die Fronten geschlossen. Die Drachengarden sowie die Fußsoldaten Logonds … sieben Wochen. In Kürze wird unser König Logond beehren, zusammen mit Königin Jale von Awrahell und … schließen sich die Heergruppen zusammen. Der Krieg gegen Myrdhan hat begonnen.«
Beim Frühstück erzählte Revyn Capras, Twit und Jurak, was er gehört hatte. Aber zu seinem Erstaunen wussten die drei bereits davon.
»Woher?«, fragte er verblüfft und ließ den Löffel sinken. Capras lächelte selbstzufrieden. »Was sag ich dir denn immer - alles, was in Logond vor sich geht!«
»Ja, aber woher? Du kannst den Boten und die Stadträte doch gar nicht belauscht haben, ihr wart noch unten in Goros Bierfass .«
Capras zuckte mit den Achseln. »Ich hab’s von einem der Wächter erfahren, als wir heute Morgen zurückgekommen sind.«
Revyn starrte ihn an. Eins musste man Capras lassen, er war ein Meister darin, Neuigkeiten aus Leuten herauszukitzeln. Revyn kannte niemanden sonst, der einen Wächter dazu bringen konnte, ihm etwas anzuvertrauen.
»Krieg, endlich«, sagte Twit mit funkelnden Augen. »So lange haben wir gewartet und jetzt ist es endlich so weit.«
»So schnell geht das auch wieder nicht.« Capras schaufelte sich eifrig Haferschleim in den Mund und wies dazwischen mit seinem Löffel auf Twit. »Erst einmal wird der König hier eintreffen, und außerdem die Königin von - wie heißt das Land noch mal - Awell oder so was. Dann wird eine lange Zeit beraten und erwogen und verhandelt und zwischendrin lassen Ihre Majestäten es sich natürlich gut gehen. Ich wette, das Ganze zieht sich mindestens bis zum Herbst hin.«
Twit rührte missmutig in seiner Schüssel. Gerade wollte er etwas erwidern, da senkte sich Stille über die Speisehalle und die Stimme eines einzelnen Mannes erhob sich. »Kameraden!« Revyn drehte sich um und sah, dass Kommandant Korsa vor den Tafeln stand.
»Kameraden, hört mich an. Es gibt Neuigkeiten.« Es war mucksmäuschenstill in der großen Halle. »Übermorgen wird unser König in Logond eintreffen. Die Dauer seines Aufenthalts ist nicht gewiss, aber solange er hier ist, werdet ihr euch alle so vorbildlich verhalten, wie es von Drachenkriegern erwartet wird. Und noch etwas muss ich erwähnen. In des Königs Begleitung besucht uns Königin Jale von Awrahell. Falls einige von euch das nicht wissen - Awrahell ist ein Königreich der Menschen und Elfen, doch ihre Königin ist menschlichen Geblüts. Auch ihre Tochter, die Prinzessin von Awrahell, wird uns beehren. Sollte jemandem von euch die Ehre zuteil werden, unseren hohen Gästen zufällig zu begegnen, erwarte ich, dass ihr euch von eurer besten Seite zeigt. Aber mehr dazu nach dem Frühstück. Versammelt euch bitte vor dem Rathaus, dann erhaltet ihr genauere Anweisungen.« Er nickte knapp und verließ die Halle mit großen Schritten. Allmählich setzte ein unruhiges und aufgeregtes Murmeln ein.
Capras grinste zufrieden, offenbar weil Korsa alle außer ihm hatte überraschen können. »Von unserer besten Seite zeigen, habt ihr gehört?«, gluckste er, drehte sich hierhin und dorthin und klimperte mit den Wimpern. »Was meint ihr, wo ist meine beste Seite?«
Revyn lächelte. »Ich glaube, die behältst du lieber weiterhin für dich.«
Als die Drachenkrieger sich auf dem Platz vor dem Rathaus einfanden, wartete Korsa bereits mit einigen Ratsmitgliedern und Kampflehrern auf sie. Als alle versammelt waren, ergriff Korsa wieder das Wort:
»Hier sind einige Verhaltensregeln von höchster Wichtigkeit. In Gegenwart unseres Königs müssen wir unserem Ruf Ehre machen - und damit
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