Das dreizehnte Kapitel (German Edition)
Heute sagte er sogar: Die Schatten der Bäume schwanken heftiger als die Bäume.
Weil er manchmal so verstummt, verstummt wie für immer, bin ich richtig glücklich, wenn er so reagiert.
Als ich ihn gestern doch einmal fragte, warum er so stumm sei, sagte er: Jetzt lass mich doch nachdenken über eine Lichtzellen-Antigravitationstechnik. Und weil ich offenbar nicht besonders klug schaute, sagte er, wie man Kindern etwas sagt, was sie wirklich selber hätten wissen müssen: Zellen ohne Gravitationsausstrahlung –
Am 1. Juli der Nationalfeiertag. Roderich will uns mitnehmen zur Canada Day Parade. Korbinian will nicht. Nichts ist so deutlich wie das Gefühl, dass ich ihn nicht allein lassen darf. Keine Sekunde. Ich gehe mit ihm in die Stadt, wenn er ein Geschäft für die Extra-Profilreifen sucht und ein Geschäft für eine Schraubenklemme, um den gebrochenen Taschenhalter an meinem Vorderrad zu reparieren. Und wenn wir nichts erreichen als die Adresse eines Eisenwarengeschäfts, zehn Kilometer weit weg, dann bin ich, wenn Roderich ihn dahin fährt, dabei. An Friseur ist nicht mehr zu denken. An meinem Rad ist mehr zu reparieren als an seinem. Ein Achter in der Felge des Hinterrads. Wenn ihm eine Schraube aus der Hand fällt, suche ich im Gras, bis sie gefunden ist. Weil Korbinian stundenlang an unseren Rädern herummacht, wird er von dem und jenem angesprochen, dem ein Bremsseil gerissen ist, oder von Susi und Uli aus Berlin-Kreuzberg, die über Nordchina nach Alaska geradelt sind und weiter wollen an die Westküste, dann bis nach Mexiko. Uli ist ratlos, weil Susis Hinterrad dreimal nach einander einen Platten hat, er kann so sorgfältig flicken, wie er will. Korbinian entdeckt das dünne Drähtchen, das da immer hineinsticht, und entfernt es. Uli und Susi danken stürmisch. Kevin aus San Diego, der Junge mit dem Bremsseil, der zum Eismeer will und von dort abbiegen nach New York, der wurde, als er dankte, fast feierlich. Mehr als einmal sagte er, Korbinian getroffen zu haben sei für ihn a great inspiration. Korbinian sagte ihm, der Dempster Highway sei auch unsere Strecke. Drei Pässe zwischen hier und Eagle Plains. Also wenn die Bremse noch einmal streike, treffe man sich wieder. Er empfahl, Vollbremsungen zu vermeiden. Bei den Pass-Abfahrten eine leichte Dauerbremsung sei problemlos. Kevin sagte, wenn sein Vater so wäre wie Korbinian, hätte er San Diego nie verlassen müssen. Und ging.
Wir sitzen hier jeden Abend in der Campground-Lodge. Unser gewöhnliches Dinner, getoastetes Brot mit Käse, Zwiebeln und Paprika, ist wieder dran, wenn wir auf dem Dempster Highway strampeln.
Die Schweizerin hat auch noch einen Laden in der Lodge. Ich kaufe ein Kettchen. Weil es aus Yukon-Gold ist. Als ich das Kettchen umgehängt habe, sagt Korbinian: Dieses Kettchen darfst du nie mehr ablegen.
Der Ausflug zur Jack-London-Blockhütte wurde ein Erfolg. Gewöhnlich weiß Korbinian über alles zur Natur Gehörende gründlich Bescheid. Alles Geschichtliche hält er für museal, und Museales interessiert ihn nicht. Aber als Roderich die Geschichte der Jack-London-Blockhütte erzählt, hört er zu. 1896, als der Goldrausch am Yukon hunderttausend Menschen anzog, kam auch Jack London nach Dawson. Die Balken für die Blockhütte, die er vier Monate bewohnte, haben er und sein Freund selber geschlagen. Die Hälfte der originalen Balken wurde nach Oakland in Kalifornien transportiert, sodass dort an seinem Geburtsort auch eine zur Hälfte authentische Jack-London-Hütte errichtet werden konnte.
Lieber Freund, Reliquien überall!
Jack London und der Freund hatten als Goldgräber kein Glück. Obwohl alle kleinen, dem Yukon zufließenden Bäche goldreich waren und es zum Teil bis heute noch sind – der Dichter und sein Freund mussten sich ein Boot aneignen und zurückpaddeln in die Zivilisation. Da war der Dichter zweiundzwanzig. Und förderte dann, sagte Roderich, das Gold aus seinem eigenen Inneren. Wurde zwar von allen amerikanischen Dichtern der, der am meisten in fremde Sprachen übersetzt wurde, aber gestorben ist er mit vierzig. Ich sah, wie sich Korbinians Gesicht einen Augenblick schmerzlich verzog.
Als ich mit Korbinian im Zelt lag, aber noch nicht in den Schlafsäcken, nahm er meine Hände und sagte: Ihn quäle es, dass er mir etwas verschwiegen habe und immer noch verschweige, weil doch unsere Ehe von Anfang an gegründet gewesen sei auf vollkommene Offenheit. Alle in der Welt sonst üblichen Lügen seien zwischen uns
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