Das Dschungelbuch - Erst ich ein Stück, dann du : Klassiker für Kinder
ihm die Augen zu, rissen ihn an den Ohren und pulten ihm in den Nasenlöchern herum. Baghira wehrte sich, so gut er konnte, doch kaum hatte er drei Affen abgeschüttelt, kletterten bereits fünf andere auf ihn drauf.
Dem Bären erging es auch nicht besser. Einer der Affen hatte seinen Schwanz um Balus Schnauze gewickelt, zwei hockten auf seinen Schultern und zupften an seinem Fell und sieben weitere drehten ihn im Kreis herum, bis ihm schwindelig wurde und er zu torkeln begann.
O weh, o weh!, dachte Mogli.
Was soll ich bloß tun?
Aus dem Turm würde er sich aus eigener Kraft nie und nimmer befreien können, und seine besten Freunde schienen den Affen hilflos ausgeliefert zu sein.
Mit einem Mal ertönte wieder dieses seltsame Zischen und nun bemerkte Mogli eine riesige Pythonschlange, die unter den Schlingpflanzen hervorkroch und sich unbemerkt über den Ruinenplatz schlängelte.
Der Junge hielt den Atem an.
War die Schlange ihr Freund
oder ihr Feind?
Oder gehörte sie gar zu den Affen?
„Du und ich, wir sind vom gleichen Blut“, sagte er. „Hört, hört!“, zischelte es da in den Turmwänden. „Wir sssind vom gleichen Blut!“ Plötzlich lugten überall aus den Mauerritzen die winzigen Köpfe unzähliger Giftschlangen hervor.
Erschrocken machte Mogli einen Satz zurück.
„Du und ich, wir sssind vom gleichen Blut“, säuselten die Schlangen. Sie wiederholten es wieder und wieder und sie zischten es lauter und immer lauter. Es klang wie ein betörender Gesang.
Da fasste sich Mogli ein Herz, trat wieder ein wenig näher an die Turmwand heran und lugte erneut auf den Ruinenplatz hinunter.
Balu und Baghira waren noch immer in einen wilden Kampf mit den Affen verstrickt. Die riesige Python hatte den Kopf erhoben und starrte auf den Turm.
„Issst der Junge dort drin?“, zischte Kaa.
„Ja, ja, ja!“, riefen die Giftschlangen.
„Wir sssind vom gleichen Blut!“
„Dann ssseht mal her, ihr dummen Affen!“, brüllte die Pythonschlange. „Wie geschwind der fußßßlose Regenwurm laufen kann!“
Blitzschnell schoss sie auf den Turm zu und schlug mit ihrem kräftigen Kopf gegen die Wand. Einige der bröckeligen Steine lösten sich und fielen heraus, und nur einen Atemzug später geriet der ganze Turm ins Wanken und die Mauersteine prasselten polternd auf den Ruinenplatz herunter.
Die Affen kreischten entsetzt auf. Sie ließen von Balu und Baghira ab und flohen in den Dschungel.
Mogli kletterte über einen Steinhaufen ins Freie und sprang direkt in Balus Arme. Der Bär setzte ihn auf Baghiras Rücken und dann rannten sie ebenfalls in den Dschungel zurück.
„Halt!“, rief Mogli. „Nicht so schnell! Ich möchte mich noch bei der Schlange bedanken!“
„Das ist keine gute Idee“,
erwiderte der Panther.
„Kaa wird dich verspeisen wollen.“
„Nein, das wird er nicht“,
widersprach Mogli.
„Kaa ist mein Freund
und ich möchte ihn mir nicht zum Feind machen, indem ich mich unhöflich verhalte. Balu hat mir beigebracht, dass ich zu allen Tieren freundlich sein soll.“
Baghira seufzte.
Er drosselte seine Geschwindigkeit
und drehte sich um.
Kaa war ihnen bereits gefolgt.
„Der Junge issst ein feiner Leckerbisssssen“, zischelte die Schlange.
„Der Junge ist dein Freund“, beeilte Balu sich zu betonen. „Wir sind alle vom gleichen Blut.“
„Nun ja …“, wollte Kaa einwenden, aber Mogli ließ ihn nicht zu Wort kommen.
„Ich danke dir vielmals für deine Hilfe“, sagte er und blickte der Schlange fest ins Gesicht. „Alles, was ich in Zukunft erlege, werde ich brüderlich mit dir teilen.“ „Oh, ich sssehe schon, du hassst ein gutesss Herzzz“, säuselte Kaa und es klang ein wenig so, als ob er es bedauerte. „Aber lasss nur, ich bin es gewohnt, meine Beute ssselbst zu fangen. Ssso schmeckt sssie mir einfach am besssten.“
Damit verabschiedete der Python sich und kroch eilig zu seinem Sonnenhügel zurück.
Balu und Baghira leckten ihre Wunden, die sie vom Kampf mit den Affen davongetragen hatten.
Dann brachten sie Mogli
zur Wolfshöhle zurück.
Seine Familie war überglücklich,
dass ihm nichts geschehen war.
Die rote Blume
Über die Jahre wuchs Mogli zu einem starken Jungen heran, der die Gesetze des Dschungels und die Losungsworte aller Tiere kannte. Er fürchtete sich vor nichts und niemandem. Auch nicht vor Schir Khan, der sich noch immer in der Gegend herumtrieb und die Wölfe gegen Mogli aufzuhetzen
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