Das Dunkel der Seele: Die Erleuchtete 1 - Roman (German Edition)
mit vollem Mund ein und leckte sich die Finger. Er löste sich aus dem Rudel – Jason Abington.
»Hi. Wir hatten zusammen Englisch«, erklärte ich schlicht. »Du hast so ungefähr 25 von meinen Stiften. Diese blauen durchsichtigen?«
»Oooh … ja, du bist das.« Er schnippte mit den Fingern, weil er nun endlich wusste, wo er mich hinstecken sollte. »Du siehst irgendwie anders aus.«
»Ich hab mir die Haare geschnitten.«
Er betrachtete mich von oben bis unten. »Cool. Find ich gut.«
Courtney eilte herbei, schlang die Arme um Jasons Schulter und Nacken und dockte bei ihm an wie eine Klette. Sie sah ihm tief in die Augen, er wirkte jedoch ziemlich gleichgültig. Der Strubbelkopf und der Basketballstar wurden von Courtneys Mitplanerinnen in Beschlag genommen. Wie vorhersehbar, die passten ja alle so gut zusammen. Schön für sie.
»Komm, Jas, du musst dir unbedingt die Kuh angucken, die ich ausgesucht habe, die ist so niedlich!«, gurrte Courtney und warf mir einen vernichtenden Blick zu.
»Viel Spaß«, wünschte ich Jason und spürte dabei gar nicht das Bedauern, das ich früher empfunden hätte. Das alles interessierte mich einfach nicht mehr. Nach den Erlebnissen der letzten Monate und all den Menschen, denen ich begegnet war, erschien mir diese Truppe so oberflächlich. Selbst ihre Beziehungen, die in der Schule so spannend gewirkt hatten, waren aus der Nähe betrachtet eher langweilig. »Amüsier dich gut. Sie kennt eben ihre Rindviecher.«
Lance erschien mit unseren Getränken. »Lass mich raten, die haben versucht, dich für die Mathemeisterschaften anzuwerben.«
»Wie hast du das bloß erraten?« Ich griff nach dem flackernden Glas. »Danke. Oh Gott, dieses Zeug schon wieder.« Trotz Dantes Vorsichtsmaßnahmen würde ich das auf keinen Fall trinken. Es war nur zur Tarnung.
»Ich weiß.« Er schüttelte den Kopf. Dann baute er sich genau vor mir auf und erklärte: »Es ist jetzt zwar viel früher als abgesprochen, aber da hinten steht Lucian. Guck mal über meine linke Schulter und dann immer geradeaus.« Er sprach mit ruhiger Stimme, die Schärfe darin erinnerte mich jedoch daran, dass der Sensenmann nicht weit war. Jetzt ging’s los. Ich sah kurz hin und schaute dann wieder Lance an.
»Dann sollte ich jetzt wohl besser gehen?«
»Genau«, bestätigte er. »Alles klar?«
Ich nickte. »Wir treffen uns dann unten nach meinem …« Es war nicht nötig, das näher auszuführen.
»Wenn du in zehn Minuten nicht da bist, gehe ich dich suchen. In der Zwischenzeit halte ich den hier in Schach«, erklärte er. »Bist du sicher, dass du das allein übernehmen willst?«
»Ja, behalt einfach nur Lucian im Auge.«
»Viel Glück, Haven. Du schaffst das!« Ich warf noch einen Blick über Lance’ Schulter und hatte den Eindruck, dass Lucian mich jetzt entdeckt hatte. Dann ging ich mit schnellen Schritten hinaus und stellte vor der Tür mein Glas auf dem Tisch ab, an dem zwei Elftklässlerinnen aus dem Vorbereitungsteam die Karten kontrollierten.
»He!«, protestierten sie einstimmig.
Ich eilte die Freitreppe hinunter und schlängelte mich zwischen feurigen Pärchen hindurch, die Hand in Hand auf dem Weg zum Ballsaal waren und dort den Abend ihres Lebens verbringen wollten. Ich kannte meine Mitschüler nicht gut, hoffte aber trotzdem, dass heute keiner von ihnen in die Fänge der Gegner geraten würde. Wenn ich recht darüber nachdachte, dann wünschte ich mir wirklich, ich würde sie alle wiedersehen. Aber jetzt musste ich diese Gedanken erst einmal verdrängen, während ich mit sicheren, langen Schritten die geschäftige Hotelhalle durchquerte und auf Aurelias Büro zuhielt.
»Wir können genauso gut ganz oben anfangen«, hatte Lance gemeint. »Denk daran, du musst sie reizen, damit sie auf dich losgeht. Wenn sie erst gestürzt ist, bleibt uns hoffentlich genug Zeit, die anderen zu erledigen, bevor sie dich kriegen.« Da hoffte er auf so einiges. Aber Hoffnung kann ja mächtig sein.
33
Du musst das einfach für mich tun
W ährend der Planung war Lance davon ausgegangen, dass Aurelia sich heute Abend in ihre Höhle zurückziehen würde, um ihr Porträt im Auge zu behalten. Es würde ihr über mein Schicksal Aufschluss geben: Wenn es sich zurückverwandelte, hieß das, dass ich tot war. Ich holte das Schweizer Messer aus meinem Handtäschchen und schob es in die dünne Tasche meines Kleides – es ruhte schwer und gewichtig darin. Als ich an der Rezeption vorbeihuschte und den Flur betrat, wappnete
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