Das Dunkel der Seele: Die Erleuchtete 1 - Roman (German Edition)
ich mich für das, was mir nun bevorstand, und in meinem Verstand war nur noch Platz für einen Gedanken, ein Bild: dieses Kunstwerk, La Jeune Martyre . Trotz des traurigen Endes war das Mädchen auf dem Gemälde tapfer, heldenhaft und stark gewesen. Sie hatte es verdient, für die Ewigkeit festgehalten zu werden. Mich hatte man als kleines Kind einst halbtot am Straßenrand aufgefunden, aber ich hatte es überlebt. Heute würde man mich vielleicht wieder abschreiben und für tot erklären, aber ich würde mich nicht in dieses Schicksal ergeben, ohne vorher etwas Nobles und Mutiges zu tun.
Endlich verlangsamten sich meine Schritte. Selbst im Dämmerlicht konnte ich die imposante Gestalt vor dem Büro problemlos erkennen. Mit so etwas hatte Lance schon gerechnet, und seine Vermutung hatte sich bewahrheitet. Wuchtig wie ein Felsblock stand Beckett mit verschränkten Armen vor Aurelias Tür. Er sah zu mir herüber und sagte kein Wort. Etwa drei Meter vor ihm blieb ich stehen.
»Ich komme, um Aurelia meine Antwort zu geben«, erklärte ich mit beinahe lieblicher Stimme, deren Zittern ich zu unterdrücken versuchte. »Es ist allerdings eine Absage, und das wird ihr gar nicht gefallen.« Beckett verengte die Augen zu Schlitzen. »Also, wissen Sie, wenn Sie mich vor Lucian kriegen, dann wäre das wirklich gut für Ihre Karriere.« Ich konnte sehen, wie es hinter seiner Stirn ratterte. Zuerst rührte er sich nicht, dann verlagerte er das Gewicht langsam von einem Fuß auf den andern. »Fang mich!« Ich trat langsam einen Schritt zurück.
Mit einem Satz warf er sich auf mich.
Ich schleuderte ihm meine Handtasche entgegen und rannte los, und zwar schneller, als ich das mit Absätzen je für möglich gehalten hätte. Mit Beckett auf den Fersen erreichte ich die Lobby und die Rezeption. Er kam mir dabei wesentlich näher, als mir lieb war. Ich floh die Treppe zum Tresor hinunter, schoss an den beiden Türstehern vorbei, bevor sie wussten, wie ihnen geschah, und dann hinein in den Tunnel zum Club. Drinnen war bereits viel los, und es wimmelte nur so von Syndikat-Vertretern. Ich warf mich mitten ins Getümmel und schlängelte mich durch die ausgelassene Wochenendmeute. Für den Bruchteil einer Sekunde sah ich mich um – ich schien Beckett abgehängt, aber neue Verfolger gewonnen zu haben. Im Vorbeirennen schreckte ich die Mitglieder des Syndikats auf, sie setzten sich bei meinem Anblick wie von der Tarantel gestochen in Gang. Einer nach dem anderen folgte mir, und es bildete sich ein Rudel, das sich durch die Menge wand und schob. Ich zwang meine Beine zu höchstem Tempo und rannte jeden um, der sich mir in den Weg stellte. Dann lief ich stolpernd und schwankend durch den dunklen Gang hinter der Feuerwand und erreichte den Tunnel. Sobald ich mich dem halbverfallenen Raum näherte, in dem Lance auf mich warten würde, begann ich zu brüllen: »Sie sind direkt hinter mir!«
Ich bog um die Ecke, und tatsächlich, da war Lance auch schon. Er stand direkt neben den Fotos, den ursprünglichen Porträts und unseren neuen Bildern, die wir ausgedruckt und auf Plakatkarton geklebt hatten, der jetzt neben den anderen lehnte. Lance streckte mir eine glänzende Klinge entgegen. Inzwischen war ich am ganzen Körper schweißüberströmt.
»Los geht’s!«, rief er.
Ich war bereit und griff genau in dem Moment nach dem Messer, als die rasende Horde über uns hereinbrach. Jetzt waren sie da, strömten in den Raum. Etwa 30 von ihnen warfen sich in unsere Richtung.
Mit feuchten Händen umklammerte ich das Messer so fest wie möglich und säbelte los. Ich begann mit einem der Gruppenfotos, zerschlitzte es zunächst mit scharfen, langen Schnitten und stieß das Messer dann noch ein paarmal kreuzweise hinein, um auch wirklich jeden zu erwischen. Die Getroffenen fielen knisternd und schwelend zu Boden. Der Rest umzingelte uns, und Lance schlenkerte mit den Armen, verteilte rechts und links Schläge und hielt die Angreifer ab, so gut er konnte, während ich ihre Fotos zerfetzte. Es waren viel mehr, als ich erwartet hatte, einige von ihnen hatte ich oben beim Abschlussball gesehen – Beckett musste sie zusammengetrommelt haben, als ich ihn abgehängt hatte. Jetzt griff Lance nach einem der morschen Bretter, die er sich vorher zurechtgelegt hatte, ging auf das Syndikat los und versuchte es damit niederzumähen. Der Schlag traf sein Ziel mit solcher Wucht, dass ein scharfes Krachen erklang und unsere Gegner durch die Luft geschleudert wurden.
Wie
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