Das Dunkel der Seele: Die Erleuchtete 1 - Roman (German Edition)
ein rasender Bulle brach jetzt Beckett durch die Menge. Er versetzte Lance einen Faustschlag, der mir im Herzen widerhallte und meinen Freund zu Boden streckte. Beckett war stärker als der Rest des Syndikats zusammen, er knirschte mit den Zähnen, und seine Augen glühten vor Wut. Für ihn stand viel auf dem Spiel: Er kämpfte um seinen Status, wollte der neue Lucian werden. Für eine Millisekunde war ich abgelenkt, und in dem Augenblick schlug eine Frau mich nieder – es war Michelle, die Ärztin aus dem Krankenhaus. »Was ist denn aus dem hippokratischen Eid geworden?«, fauchte ich und stürzte mich auf sie. Aber sie hatte Verstärkung: So viele andere zerrten an meinen Haaren und schlugen ihre Klauen in meine Arme und mein Kleid. Um sie abzuschütteln schlug ich wild um mich.
Ich verteilte Fußtritte, rollte auf dem Boden herum, schnitt aber immer weiter und weiter, zerfetzte die Fotos, so schnell ich konnte, während diese Männer und Frauen, die ich doch einst so bewundert hatte, mich in Stücke reißen wollten. Sie warfen sich jetzt von allen Seiten auf mich, so dass ich mich nicht mehr aufrichten konnte und blind drauflosstach. Ich holte aus wie mit einer Spitzhacke, stach zu und nutzte den Schwung, um mich in Richtung des nächsten Bildes zu werfen. Jedes Mal, wenn Beckett mich erreichte – so fest an meinem Bein zerrte, als würde er es gleich ausrenken, oder mir den Arm hinter dem Rücken verdrehte, so dass ich mich fast selbst mit dem Messer erwischte –, war Lance augenblicklich zur Stelle, stürzte sich auf Beckett und riss die Bestie mit einer Kraft von mir weg, die ich niemals in ihm vermutet hätte.
Nach und nach wurden die Angreifer jedoch weniger. Die Syndikat-Mitglieder brachen einer nach dem anderen zusammen, verwandelten sich in die grauenhaften Gestalten auf den Fotos und verglühten dann zu Asche, bis nur noch Beckett übrig war. Sein Foto musste ich viel heftiger bearbeiten als die anderen. Ich hatte dem Porträt das Messer bereits ein paar Mal mitten ins Herz gebohrt, das reichte aber noch nicht aus, also stach ich weiter und weiter und weiter, bis er sich schließlich krümmte und zu Boden sank.
Keuchend lagen Lance und ich da, wir waren mit Wunden und Schrammen übersät und schmiegten die Wange an den warmen, schmierigen Fußboden. Zwischen uns verfielen die Überreste von Beckett langsam, bis sein Körper plötzlich ohne jede Vorwarnung zu glühen begann und zu einem knisternden Feuerball wurde. Lance und ich fuhren hoch und versuchten davonzukrabbeln, die Flamme zuckte jedoch und griff nach uns, versengte uns die Beine. Selbst in diesem Zustand sprach Beckett noch zu uns: »Bildet euch bloß nichts ein«, ertönte seine Stimme rau. »Ihr werdet die Nacht nämlich nicht überstehen.« Dann begann er zu verglühen, ganz langsam wurde jeder einzelne Zentimeter seiner Haut zu Asche. Offensichtlich brannten diese Wesen umso länger, je höher ihre Position in der Hierarchie der Unterwelt war. Lance und ich sagten kein Wort, wir lagen einfach nur da, während Beckett vor sich hin brannte. Bestimmt tat auch Lance alles weh, so wie mir. Ich hatte einfach keine Kraft mehr, um aufzustehen.
Aber selbst in dem Moment, als Becketts Überreste verglühten und verpufften, spürte ich, dass plötzlich eine Veränderung in der Luft lag, ein Kribbeln im Nacken verriet mir, dass ich jetzt auf der Hut sein musste. Ich spürte seine Nähe und fragte mich, ob Lance es wohl auch bemerkte. Und ich hoffte, dass ihm vielleicht mehr Kraft geblieben war als mir, da ich mir jetzt einfach nicht mehr vorstellen konnte, noch ein einziges mörderisches Wesen seiner Seele zu berauben, auch wenn es das tödlichste von allen war. Dass ich überhaupt noch am Leben war, glich einem Wunder, und das sollte doch gefeiert werden. Ich hatte mir wirklich eine Verschnaufpause verdient, bevor ich mich wieder in die Schlacht stürzte. Aber die Schritte kamen näher. Hoch mit dir, Haven, steh jetzt auf , redete ich mir gut zu. Zuerst sah ich seine Füße. Einer von ihnen trat hart und gnadenlos nach Becketts brennendem Umriss. Er zuckte nicht einmal mit der Wimper, als seine Schuhsohle zu brennen begann, er trat das Feuer einfach aus und versetzte dem fauchenden Beckett noch einen Stoß, um ihn umzudrehen.
»Du …«, durchfuhr Becketts keuchende Stimme die Luft.
»Ich«, erwiderte der Neuankömmling und zog einen klimpernden Schlüsselring aus den Überresten von Becketts Jacke. Ich kannte diese Schlüssel, wusste, was man
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