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Das dunkelste Blau

Das dunkelste Blau

Titel: Das dunkelste Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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das?«
    »Es ist die Frau mit der Bibel. Sie hat sich am Kopf weh getan.«
    »Sag ihr, daß sie gehen soll. Sie weiß, daß ich keine kaufe.«
    »Nein, nein!« rief Sylvie. »Die andere Frau mit der Bibel!«
    Im Gang machte es Klick-klick-klick, und Mathilde erschien hinter Sylvie. Sie trug pinkfarbene Shorts und ein weißes Träger-Top und hielt eine halbgeschälte Grapefruit in der Hand.
    »Mon Dieu!« rief sie. »Ella, quelle surprise!« Sie gab Sylvie die Grapefruit, musterte mich von Kopf bis Fuß und küßte mich auf beide Wangen. »Du hättest mir sagen sollen, daß du kommst! Komm herein, komm herein.«
    Ich rührte mich nicht. Meine Schultern bebten, ich senkte den Kopf und fing an zu weinen.
    Wortlos legte Mathilde einen Arm um mich und nahm die Reisetasche hoch. Als Sylvie die Sporttasche nahm, rief ich beinahe: »Faß sie nicht an!« Statt dessen ließ ich sie nicht nur die Tasche, sondern auch meine Hand nehmen. Gemeinsam führten sie mich ins Haus.
    Den Gedanken, in ein Flugzeug zu steigen, konnte ich einfach nicht ertragen. Ich wollte nicht auf so engem Raum eingesperrt sein, aber vor allem wollte ich nicht zu schnell nach Hause kommen. Ich brauchte mehr Zeit für mich, als ich im Flugzeug gehabt hätte.
    Jacob begleitete mich im Zug bis nach Genf und setzte mich in den Bus zum Flughafen, aber fünfhundert Meter nach dem Bahnhof stand ich auf und bat den Busfahrer, mich aussteigen zu lassen. Ich ging in ein Café und saß eine halbe Stunde lang über einem Kaffee, bis ich wußte, daß Jacob im Zug zurück nach Moutier saß, dann ging ich zurück zum Bahnhof und kaufte einen Fahrschein nach Toulouse.
    Es war schwer gewesen, von Jabob wegzugehen: Nicht, weil ich bleiben wollte, sondern weil ihm so klar war, daß ich möglichst schnell weg wollte.
    »Es tut mir leid, Ella«, murmelte er, als wir uns verabschiedeten, »daß dein Besuch in Moutier so traumatisch war. Er hätte dir eigentlich helfen sollen, und statt dessen . . .« Er sah auf meine verletzte Stirn und auf die Sporttasche. Er hatte nicht gewollt, daß ich sie mitnahm, aber ich hatte darauf bestanden, obwohl ich mich gefragt hatte, ob es Probleme mit den Suchhunden am Flughafen geben würde – noch ein Grund, den Zug zu nehmen.
    Lucien hatte die Sporttasche am Morgen zuvor gebracht, als ich endlich nach den Medikamenten, die der Arzt in mich hineingepumpt hatte, wieder aufwachte. Er erschien am Fußende meines Bettes, unrasiert, schmutzig und erschöpft, und stellte die Tasche neben die Wand.
    »Das ist für dich, Ella. Sieh jetzt nicht hinein. Du weißt schon, was drin ist.«
    Halb betäubt sah ich zur Tasche hin. »Das hast du nicht allein gemacht, oder?«
    »Ein Freund war mir einen Gefallen schuldig. Keine Angst, er wird es niemandem erzählen. Er kann den Mund halten.« Er machte eine Pause. »Wir haben ein dickeres Seil genommen. Der Balken ist allerdings fast heruntergekommen. Beinahe wäre das ganze Haus zusammengestürzt.«
    »Wenn es nur zusammengestürzt wäre.«
    Als er ging, räusperte ich mich. »Lucien. Danke. Daß du mir geholfen hast. Für alles.«
    Er nickte. »Mach’s gut, Ella.«
    »Ich werd’s versuchen.«
    Sie ließen meine Taschen im Flur stehen und führten mich in den Garten, ein eingezäuntes Stück Rasen, auf dem ein aufblasbares Planschbecken stand und überall Spielzeug herumlag. Sie setzten mich in einen Plastikliegestuhl, und während Mathilde ins Haus zurückging, um mir etwas zu trinken zu holen, blieb Sylvie neben mir stehen und sah mich unverwandt an. Sie fing an, meineStirn sanft zu streicheln. Ich schloß die Augen. Die Berührung ihrer Hand und die Sonne auf meiner Haut taten gut.
    »Was ist das?« fragte Sylvie. Ich öffnete die Augen. Sie zeigte auf die Schuppenflechte an meinem Arm; sie war rot und geschwollen.
    »Ich habe eine Hautkrankheit. Sie heißt Schuppenflechte.«
    »Dann brauchst du da auch einen Verband, n’est-ce pas?«
    Ich lächelte.
    »Also«, fing Mathilde an, nachdem sie mir ein Glas Orangensaft gegeben, sich neben mich auf den Rasen gesetzt und Sylvie hineingeschickt hatte, um ihren Badeanzug anzuziehen. »Woher hast du diese Verletzungen?«
    Ich seufzte. Die Aussicht, alles erklären zu müssen, war niederdrückend. »Ich war in der Schweiz«, fing ich an, »und habe meine Familie besucht. Ich wollte ihnen die Bibel zeigen.«
    Mathilde verzog das Gesicht. »Pah, die Schweizer«, sagte sie.
    »Ich habe nach etwas gesucht«, fuhr ich fort, »und –«
    Ein schriller Schrei kam aus

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