Das dunkelste Blau
passiert?«
»Ich weiß nicht. Manchmal denke ich, daß sie von Moutier weggegangen und hierher in die Cevennen zurückgekommen ist. Sie hat ihren Schäfer gefunden und ihr Kind bekommen. Und vielleicht wurde sie wieder katholisch, so daß sie die Jungfrau Maria verehren konnte.«
»Ein glückliches Ende.«
»Ja. Aber eigentlich glaube ich nicht recht daran. Meistens denke ich, daß sie irgendwo verhungert ist, mit einem toten Baby im Bauch, von der Welt vergessen, und ohne Grab.«
Es war still.
»Aber weißt du, was noch schlimmer wäre, das schlimmste Schicksal, aber auch das wahrscheinlichste?«
»Was könnte noch schlimmer sein?«
»Daß sie damit gelebt hat. Sie ist in Moutier geblieben, mit ihrer toten Tochter unter dem Herd bis ans Ende ihrer Tage.«
Isabelle kniet an der Kreuzung. Sie hat drei Möglichkeiten: Sie kann weitergehen, sie kann zurückgehen, oder sie kann bleiben, wo sie ist.
– Hilf mir, Heilige Mutter Gottes, betet sie. Hilf mir bei meiner Entscheidung.
Ein blaues Licht umgibt sie, Trost für einen kurzen Augenblick.
Ich setzte mich abrupt auf und kauerte mich auf den langen, glatten Felsen im Flußbett, so daß meine Brüste ihre Rundung wiedergewannen. Das Baby war aufgewacht und fing an zu weinen wie ein kleines Kätzchen. Elisabeth hob es von seiner Decke am Flußufer auf und führte seinen Mund an ihre Brust.
»Hat Jean-Paul das gelesen?« Sie klopfte auf das Manuskript neben sich.
»Noch nicht. Er wird es dieses Wochenende lesen. Vor seiner Meinung habe ich am meisten Angst.«
»Warum?«
»Sie ist mir am wichtigsten. Er hat so klare Vorstellungen über Geschichte. Er wird meine Herangehensweise kritisieren.«
Elisabeth zuckte die Achseln. »Na und? Es ist doch schließlich deine Geschichte. Unsere Geschichte.«
»Stimmt.«
»Was ist übrigens mit dem Maler, von dem du mir erzählt hast? Nicolas Tournier.«
»Er hat seinen Platz, egal, was Jean-Paul denkt.«
Jacob kommt an die Kreuzung und findet seine Mutter auf den Knien, umhüllt von Blau. Sie sieht ihn nicht; er schaut sie an, und das Blau spiegelt sich in seinen Augen. Dann sieht er sich um und nimmt die Straße, die nach Westen führt.
Den folgenden Personen möchte ich für ihre Hilfe danken (in alphabetischer Reihenfolge, dem großartigen Gleichmacher): Juliette Dickstein; Jonathan Drori; Susan Elderkin; Jonny Geller; James Greene; Kate Jones; meinem Cousin Jean Kleiber, der mir zuerst von den Höfen ohne Kamin und anderen schweizerischen Eigenheiten erzählt hat; Lesley Levene; Madame Christine Martinez aus Florac, die mir, ohne es zu wissen, einen Crashkurs in französischem Dorfleben gegeben hat; und Vicky Singer.
Sehr hilfreich waren die Bücher ›Montaillou‹ und ›The Peasants of Languedoc‹ von Emmanuel Le Roy Ladurie, ›The Return of Martin Guerre‹ und ›Society and Culture in Early Modern France‹ von Natalie Zemon Davis, ›Protestants du Midi, 1559–1598 ‹ von Janine Garrisson und ›Moutier à travers les âges‹ von Ph. Pierrehumbert.
Die meisten Orte im Buch existieren tatsächlich, aber keine der Personen.
Informationen zum Buch
Als die junge Amerikanerin Ella mit ihrem Mann in eine kleine Stadt in Frankreich zieht, scheint das die Erfüllung all ihrer Wünsche. Doch bald wird aus dem Glück eine Heimsuchung: Jede Nacht wird Ella von Albträumen verfolgt. Am Morgen erinnert sie sich an nichts als ein leuchtendes Blau und den Klang von Stimmen, die einen Psalm in fremdartigem Französisch singen. Ella vertieft sich in die Geschichte ihrer Vorfahren, die nach dem Grauen der Bartholomäusnacht aus Frankreich flohen. Und die Gestalt einer jungen Frau der damaligen Zeit lässt sie nicht mehr los – Isabelle du Moulin, genannt La Rousse wegen ihrer roten Haare und als Hexe verschrien …
»Eine intelligente Romankonzeption und eine packende Geschichte.« (Kölner Illustrierte)
Informationen zur Autorin
Tracy Chevalier , geboren 1962, wuchs in Washington, D. C., auf. 1984 zog sie nach England, arbeitete in London als Lektorin für Nachschlagewerke und studierte »Creative Writing« an der University of East Anglia. Mit ihrem historischen Roman ›Das Mädchen mit dem Perlenohrring‹ wurde sie weltberühmt.
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