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Das dunkelste Blau

Das dunkelste Blau

Titel: Das dunkelste Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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Tür. Er war rot im Gesicht und schwitzte. Er lächelte sie an.
    – Komm herein, Isabelle.
    Sie zögerte, als sie ihren Namen hörte, und ging dann an ihm vorbei. Hannah lag auf den Knien neben dem neu gesetzten Herd, hatte die Augen geschlossen und Kerzen auf dem Stein aufgestellt. Gaspard stand mit gesenktem Kopf weiter hinten. Er sah nicht hoch, als Isabelle und die Jungen hereinkamen. Ich habe Hannah schon einmal so gesehen, dachte sie. Betend an einem Herd.
    Ich sah ein Stück Blau aufleuchten, ein winziges Stück Blau in dem dunklen Loch. Inzwischen war der Stein ungefähr zehn Zentimeter angehoben worden, und ich starrte und starrte, ohne irgend etwas zu begreifen, und dann waren es fünfzehn Zentimeter, und ich sah die Zähne und wußte Bescheid. Ich wußte es, und ich fing an zu schreien und griff gleichzeitig in das Grab und bekam einen winzigen Knochen zu fassen. »Das ist der Arm eines Kindes!« schrie ich. »Das ist –« ich griff tiefer hinein und hatte das Blau zwischen meinen Fingern und zog einen langen Faden heraus, der um eine Haarsträhne gewickelt war. Es war das Blau der Jungfrau, das Haar war rot wie mein eigenes, und ich fing an zu weinen.
    Sie sah sich den Herd an, der so merkwürdig im Raum stand.
    Er konnte nicht warten, dachte sie. Er konnte nicht warten, bis andere kommen, um zu helfen, und er ließ den Stein einfach hinfallen, wo er gerade hinfiel.
    Es war ein riesiger Block, zu nah am Eingang. Sie drängten sich zwischen ihm und der Tür, sie und Etienne und Petit Jean und Jacob. Sie ging von ihnen weg um den Herd herum.
    Dann sah sie etwas Blaues auf dem Boden. Sie fiel auf die Knie, griff danach und zog daran. Es war ein Stück blauer Faden, und er kam unter dem Stein hervor. Sie zog und zog, bis er abriß. Sie hielt ihn hoch ins Licht der Kerze, so daß sie ihn alle sehen konnten.
    Ich hörte das Reißen und das Pfeifen des Seils in der Luft. Dann, mit einem furchtbaren Dröhnen, fiel der Stein wieder zurück an seinen früheren Platz, die Klammern krachten gegen den Balken. Ich wußte, daß ich dieses Dröhnen schon einmal gehört hatte.
    – Nein! schrie Isabelle und warf sich auf den Herd, schluchzte und schlug den Kopf gegen den Stein. Sie drückte die Stirn an den kalten Granit. Während sie den Faden an ihre Wange gepreßt hielt, rief sie: – J’ai mis en toi mon espérance: Gardemoi donc, Seigneur, D’éternel déshonneur: Octroye-moi ma délivrance, Par ta grande bonté haute, Qui jamais ne fit faute.
    Dann gab es kein Blau mehr; alles war rot und schwarz.
    – Nein! schrie ich und warf mich auf den Herd, schluchzte und schlug den Kopf gegen den Stein. Ich drückte die Stirn an den kalten Granit. Während ich den Faden an meine Wange gepreßt hielt, rief ich: – J’ai mis en toi mon espérance: Garde-moi donc, Seigneur, D’éternel déshonneur: Octroye-moi ma délivrance, Par ta grande bonté haute, Qui jamais ne fit faute.
    Dann gab es kein Blau mehr; alles war rot und schwarz.

10. Die Rückkehr
    Lange stand ich auf der Schwelle, bevor ich mich überwinden konnte zu klingeln. Ich stellte die Reisetasche ab, die Sporttasche daneben, und besah mir die Tür. Sie war nichtssagend, billiger Preßspan mit einem Spion in Augenhöhe. Ich blickte mich um: Ich war in einer Neubausiedlung mit kleinen, neuen Häusern, dazwischen Gras, aber keine Bäume außer ein paar spindeligen Gebilden, die zu wachsen versuchten. Es war gar nicht so verschieden von neuen amerikanischen Vororten.
    Ich legte mir nochmals zurecht, was ich sagen wollte, und klingelte. Während ich wartete, fing mein Magen an zu flattern, und meine Hände wurden feucht. Ich schluckte und rieb die Hände an den Hosen. Von innen hörte ich Schritte; dann schwang die Tür auf, und ein kleines blondes Mädchen stand auf der Schwelle. Eine schwarzweiße Katze drückte sich an ihren Beinen vorbei und sprang auf die Treppe, wo sie innehielt und die Nase gegen die Sporttasche drückte. Sie schnüffelte und schnüffelte, bis ich sie mit dem Fuß sanft wegschob.
    Das Mädchen trug gelbe Shorts und ein T-Shirt mit Saftflecken auf der Vorderseite. Sie hing am Türknauf, balancierte auf einem Fuß und starrte mich an.
    » Bonjour, Sylvie. Erinnerst du dich noch an mich?«
    Sie starrte weiter. »Warum bist du lila im Gesicht?«
    Ich berührte meine Stirn. »Ich habe mir den Kopf angeschlagen.«
    »Du mußt einen Verband draufmachen.«
    »Willst du das für mich tun?«
    Sie nickte. Von drinnen kam eine Stimme: »Sylvie, wer ist

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