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Das dunkelste Blau

Das dunkelste Blau

Titel: Das dunkelste Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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Sporttasche in einem Schrank versteckt, und Sylvie sagte nichts mehr darüber; sie zeigte mir all ihr Spielzeug und ließ mich ihr Haar in zwei enge Zöpfe flechten.
    Mathilde sagte wenig über den Anruf. »Morgen abend, um acht«, erklärte sie bruchstückhaft und gab mir eine Adresse in Mende, genau wie Jean-Paul es mit La Taverne gemacht hatte.
    Weil Sylvie zu Bett mußte, aßen wir früh zu Abend. Ich lächelte, als ich auf meinen Teller sah: Es war wie das Essen, das ich als Kind gegessen hatte, gut, reichlich und ohne irgendwelchen Schnickschnack. Keine Pasta in raffinierten Saucen oder Ölen oder Kräutern, kein besonderes Brot, keine ausgefallenen Zutaten und Kombinationen. Es gab ein Schweinekotelett, grüne Bohnen, Mais in Rahm und Baguette; alles war angenehm bodenständig.
    Ich hatte Hunger, aber als ich in das erste Stück Schweinefleisch biß, spuckte ich es fast wieder aus: Es schmeckte nach Metall. Ich probierte den Mais und die Bohnen; auch hier der Geschmack nach Metall. Obwohl ich solchen Hunger hatte, konnte ich den Geschmack und das Gefühl von Essen in meinem Mund nicht ertragen.
    Es war unmöglich, mein Unbehagen zu verstecken, besonders, weil Sylvie beschlossen hatte, ihr Eßtempo nach meinem zu richten. Wenn ich einen Bissen von meinem Kotelett nahm, nahm sie einen von ihrem, wenn ich trank, trank sie auch. Mathilde vertilgte alles im Handumdrehen, ohne unsere Langsamkeit zu bemerken, und tadelte dann Sylvie, weil sie so lange brauchte.
    »Aber Ella ißt auch so langsam!« rief Sylvie.
    Mathilde sah auf meinen Teller.
    »Tut mir leid«, sagte ich. »Ich fühle mich irgendwie komisch. Alles schmeckt – nach Metall.«
    »Ah, das hatte ich auch, als ich mit Sylvie schwanger war! Scheußlich. Aber es dauert nur ein paar Wochen. Danach kannst du alles essen.« Sie hielt inne. »Oh, aber du –«
    »Ich denke, es sind vielleicht die Medikamente, die der Arzt mir gegeben hat«, unterbrach ich. »Manchmal bleiben noch länger Spuren davon im Kreislauf. Es tut mir leid, aber ich kann das einfach nicht essen.«
    Mathilde nickte. Später ertappte ich sie dabei, wie sie mir einen langen, nachdenklichen Blick zuwarf.
    Ich fügte mich überraschend leicht in ihr Leben ein. Ich hatte zu Mathilde gesagt, daß ich am nächsten Tag gehen würde – nicht, daß ich gewußt hätte, wohin. Sie winkte ab. »Nein, du bleibst hier. Ich hab dich gerne hier. Normalerweise sind es immer nur Sylvie und ich, also ist es schön, Gesellschaft zu haben. Solange es dir nichts ausmacht, auf der Couch zu schlafen.«
    Sylvie ließ mich vor dem Zubettgehen ein Buch nach dem anderen vorlesen und freute sich über die Abwechslung, korrigierte streng meine Aussprache und erklärte mir einige der Ausdrücke. Am nächsten Morgen bettelte sie, heute nicht ins Sommerlager gehen zu müssen. »Ich will mit Ella spielen!« rief sie. »Bitte, Maman, bitte!«
    Mathilde sah mich an. Ich nickte leicht. »Du mußt Ella fragen«, sagte sie. »Du weißt ja gar nicht, ob sie den ganzen Tag mit dir spielen will.«
    Als Mathilde zur Arbeit gegangen war und letzte Anweisungen über die Schulter gerufen hatte, war das Haus plötzlich sehr still. Ich sah Sylvie an; sie gab wortlos meinen Blick zurück. Ich wußte, daß wir beide an die Tasche mit den Knochen dachten, die im Haus versteckt war.
    »Gehen wir spazieren«, sagte ich fröhlich. »Es gibt doch einen Spielplatz in der Nähe, nicht wahr?«
    »Okay«, sagte sie und fing an, alle Sachen, die sie auf dem Spielplatz brauchen würde, in einen Rucksack in Bärenform zu packen.
    Auf dem Weg zum Spielplatz kamen wir an einer Reihe von Geschäften vorbei; vor einer Apotheke blieb ich stehen. »Gehen wir hinein, Sylvie, ich brauche etwas.« Sie kam folgsam mit hinein. Ich führte sie zu einer Auslage von Seifen. »Such dir eine aus«, sagte ich, »das ist ein Geschenk von mir.« Sie vertiefte sich darin, die Schachteln zu öffnen und an den Seifen zu riechen, so daß ich leise mit dem Apotheker sprechen konnte.
    Sylvie suchte sich eine Lavendelseife aus und hielt sie beim Gehen in der Hand, um immer wieder daran zu riechen, bis ich sie überredete, sie für später in ihrem Rucksäckchen aufzubewahren. Auf dem Spielplatz rannte sie gleich davon zu ihren Freundinnen. Ich setzte mich auf eine Bank zu den anderen Müttern, die mich mißtrauisch beäugten. Ich versuchte erst gar nicht, ein Gespräch mit ihnen anzufangen: Ich mußte nachdenken.
    Nachmittags blieben wir zu Hause. Während Sylvie ihr

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