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Das dunkelste Blau

Das dunkelste Blau

Titel: Das dunkelste Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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Lisle-sur-Tarn, und ich war etwas versöhnt mit meiner Wahl, als er mich küßte und mich in seinen Armen herumwirbelte. »Ha!« rief er den alten Häusern um den Marktplatz zu.
    »Schscht, Rick«, sagte ich. Es war Markttag, und ich fühlte aller Augen auf uns. »Laß mich runter!« zischte ich.
    Er lächelte nur und hielt mich noch fester.
    »Das ist eine Stadt, wie ich sie liebe«, sagte er. »Sieh nur die hübsche Detailarbeit mit den Ziegeln!«
    Wir wanderten durch die ganze Stadt und suchten unsere Lieblingshäuser aus. Später gingen wir zur boulangerie , um noch mehr Zwiebel-Quiches zu kaufen. Ich errötete, als Madame mich ansah, aber sie richtete die meisten ihrer Bemerkungen an Rick, der sie witzig fand und über sie kicherte, anscheinend ohne sie im geringsten zu beleidigen. Sie fand ihn offensichtlich gutaussehend: Sein blonder Pferdeschwanz war in diesem Land der kurzen schwarzen Haare etwas Besonderes, und seine kalifornische Bräune war noch nicht verblaßt. Mir gegenüber war sie höflich, aber ich spürte eine unterschwellige Feindseligkeit und war völlig verkrampft.
    »Schade, daß die Quiches so gut sind«, sagte ich draußen zu Rick. »Sonst würde ich nie wieder da reingehen.«
    »Oh, Schatz, du nimmst das alles viel zu ernst. Werd bloß nicht gleich paranoid.«
    »Ich fühle mich einfach irgendwie zurückgewiesen.«
    »Nicht gerade service-orientiert, die Gute. Am besten holst du gleich einen Personalgutachter, um ihr den Kopf geradezurücken.«
    Ich grinste ihn an. »Ja, ihre Akte würd ich schon gern sehen.«
    »Sicher gespickt mit Beschwerden. Sie ist völlig von der Rolle, das sieht man. Hab doch ein wenig Mitleid mit der Alten.«
    Die Vorstellung, in einem der alten Häuser auf dem Platz oder in der Nähe davon zu wohnen, war verlockend, aber als ich hörte, daß keines davon zu vermieten war, war ich heimlich erleichtert: das waren stattliche Häuser, für etablierte Mitglieder der Gemeinde. Statt dessen fanden wir ein Haus, das ein paar Minuten zu Fuß vom Zentrum entfernt lag, ebenfalls alt war, aber ohne schmuckvolles Ziegelwerk, mit dicken Mauern und gefliesten Böden und einer kleinen Küchenterrasse, die von mit wildem Wein überwuchertem Gitterwerk geschützt wurde. Es gab keinen Garten vor dem Haus, die Haustür ging direkt auf die enge Straße hinaus. Ich fand das Haus innen sehr dunkel, obwohl Rick mich daran erinnerte, daß es im Sommer angenehmkühl sein würde. Alle Häuser, die wir gesehen hatten, waren so. Ich verscheuchte die Dunkelheit, indem ich die Fensterläden offenließ, und erwischte die Nachbarn mehrere Male, wie sie durch die Fenster hereinspähten, bevor sie lernten, nicht hinzusehen.
    Eines Tages beschloß ich, Rick zu überraschen: Als er abends nach Hause kam, hatte ich das trübe Braun der Läden mit einem satten Burgunderrot überstrichen und Töpfe mit Geranien vor die Fenster gehängt. Er stand vor dem Haus und lächelte zu mir hinauf, als ich mich aus dem Fenster lehnte und von rosa, weißen und roten Blüten eingerahmt war.
    »Willkommen in Frankreich«, sagte ich. »Willkommen zu Hause.«
    Als mein Vater hörte, daß Rick und ich in Frankreich leben würden, schlug er vor, ich sollte einem entfernten Cousin schreiben, der in Moutier, einem kleinen Ort im Nordwesten der Schweiz, lebte. Vater hatte Moutier einmal besucht, vor langer Zeit. »Es wird dir gefallen, ich garantiere es dir«, sagte er, als er mich anrief, um mir die Adresse zu geben.
    »Dad, Frankreich und die Schweiz sind zwei verschiedene Länder! Ich werde wahrscheinlich nicht mal bis in die Nähe der Schweizer Grenze kommen.«
    »Sicher, Kleines, aber es ist immer gut, Familie in der Nähe zu haben.«
    »In der Nähe? Moutier ist mindestens 400 oder 500 Meilen entfernt.«
    »Siehst du? Nur eine Tagesfahrt. Und das ist um einiges näher, als ich sein kann.«
    »Dad –«
    »Schreib die Adresse auf, Ella. Tu mir den Gefallen.«
    Wie konnte ich nein sagen? Ich schrieb die Adresse auf und lachte.
    »Das ist lächerlich. Ich schreibe ihm also: ›Hallo, ich bin eine entfernte Cousine, von der du noch nie was gehört hast, und bingerade zufällig auf demselben Kontinent, also könnten wir uns doch treffen.‹«
    »Warum nicht? Hör mal, für den Anfang könntest du ihn nach der Familiengeschichte fragen, woher wir kommen, was unsere Familie gemacht hat. Nutz die Zeit, die du dort hast.«
    Vater war von einer protestantischen Arbeitsethik beherrscht, und der Gedanke, daß ich keine Arbeit hatte,

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