Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das dunkelste Blau

Das dunkelste Blau

Titel: Das dunkelste Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
Vom Netzwerk:
räumte schweigend unsere unangetasteten Pizzen weg, legte dann ungefragt die Rechnung auf den Tisch. Wir sahen beide nicht hin.
    »Ist diese – Veränderung deiner Gefühle vorübergehend oder dauerhaft?« fragte Rick, als ich aufgehört hatte zu weinen.
    »Ich weiß es nicht.«
    Er versuchte es noch mal. »Diese Sache mit der Schallplatte. Kommt es wieder zurück? Bist du manchmal wieder begeistert davon?«
    Ich dachte darüber nach. »Manchmal.« Aber nie lange, dachte ich. Das Gefühl ist nie so wie vorher.
    »Also vielleicht ändert sich alles wieder.«
    »Rick, alles, was ich weiß, ist, daß ich nicht mit dir zurückkommen kann.« Ich spürte, wie sich die Tränen wieder hinter meinen Augen ansammelten.
    »Weißt du«, fügte ich hinzu, »ich hab dir nicht einmal erzählt, was in der Schweiz passiert ist. Und in Frankreich. Was ich alles über die Tourniers herausgefunden habe. Eine ganze Geschichte. Ich könnte eine ganze Geschichte erzählen – ein paar Lücken hier und da müßte ich auffüllen. Siehst du, es ist, als ob sich dieses ganze andere Leben in mir abspielt, von dem du gar nichts weißt.«
    Rick rieb sich die Nasenwurzel zwischen Daumen und Zeigefinger. »Schreib es auf«, sagte er. Er sah kurz auf meine Schuppenflechte. »Jetzt muß ich hier raus. Es ist viel zu heiß hier.«Als ich zurückkam, war Mathilde noch wach, las im Wohnzimmer Zeitung und hatte ihre langen Beine auf den gläsernen Couchtisch gelegt. Sie sah mich fragend an. Ich plumpste auf das Sofa und sah zur Decke.
    »Rick will nach Deutschland ziehen«, verkündete ich.
    »Vraiment? Das kommt aber plötzlich.«
    »Ja. Ich gehe nicht mit.«
    »Nach Deutschland?« Sie zog eine Grimasse. »Natürlich nicht!«
    Ich schnaubte. »Sag mal, gefällt dir irgendein anderes Land außer Frankreich?«
    »Amerika.«
    »Aber du warst noch nie da!«
    »Ja, aber ich bin sicher, daß es mir gefallen würde.«
    »Schwer vorstellbar, zurückzugehen. Kalifornien würde mir so fremd erscheinen.«
    »Hast du das vor?«
    »Weiß nicht. Aber nach Deutschland gehe ich nicht.«
    »Hast du Rick erzählt, daß du schwanger bist?«
    Ich setzte mich auf. »Woher weißt du das?«
    »Ist doch klar! Du bist müde, das Essen schmeckt dir nicht, aber wenn du ißt, ißt du viel. Und wenn du nicht sprichst, siehst du aus, als horchst du in dich hinein. Ich erinnere mich gut daran von Sylvie. Also, wer ist der Vater?«
    »Rick.«
    »Du bist sicher?«
    »Ja. Wir hatten es eine Zeitlang versucht, dann haben wir aufgehört, aber offensichtlich war ich da schon schwanger. Wenn ich’s mir genau überlege, hatte ich die Symptome schon ein paar Wochen lang.«
    »Und Jean-Paul?«
    Ich legte mich auf den Bauch und drückte mein Gesicht in eines der Sofakissen. »Was ist mit Jean-Paul?«
    »Siehst du ihn wieder? Wirst du mit ihm sprechen?«
    »Was kann ich ihm schon sagen, das er hören will?«
    » Mais – natürlich wird er von dir hören wollen, auch schlechte Nachrichten. Du warst nicht sehr nett zu ihm.«
    »Ach, ich weiß nicht. Ich hätte gedacht, daß es nett von mir ist, ihn in Ruhe zu lassen.«
    Zu meiner Erleichterung wechselte Mathilde das Thema. »Mittwoch nehme ich frei«, sagte sie, »dann fahren wir nach Le Pont de Montvert, wie du vorgeschlagen hast. Wir nehmen Sylvie auch mit. Sie ist so gern da oben. Und natürlich kannst du dann Monsieur Jourdain wiedersehen.«
    »Oh, ich kann’s kaum erwarten.«
    Sie kreischte, und wir fingen an zu lachen.
    Am Mittwoch morgen bestand Sylvie darauf, mich beim Anziehen zu beraten. Sie kam ins Bad, wo ich gerade weiße Shorts und eine cremefarbene Bluse angezogen hatte, am Waschbecken lehnte und mich im Spiegel besah. Ich hatte gerade drei Schüsseln Cornflakes gegessen und war immer noch hungrig.
    »Warum trägst du immer weiß?« fragte sie.
    O Gott, nicht schon wieder, dachte ich. »Die Bluse ist nicht weiß«, sagte ich. »Sie ist cremefarben.«
    »Das ist doch fast das gleiche!«
    » Alors , was soll ich deiner Meinung nach tragen?«
    Sylvie klatschte in die Hände und rannte ins Wohnzimmer, wo sie meine Tasche durchsuchte. »Alle deine Kleider sind weiß oder braun!« rief sie enttäuscht. Sie zog Jean-Pauls blaues Hemd heraus. »Außer dem hier. Zieh das an«, befahl sie. »Wieso hast du das noch nicht getragen?«
    Jacob hatte das Hemd in Moutier gewaschen. Das Blut war zum großen Teil herausgegangen, aber es hatte eine rostfarbene Spur auf dem Rücken hinterlassen. Ich dachte, man würde es nicht sehen, wenn man nicht

Weitere Kostenlose Bücher