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Das dunkelste Blau

Das dunkelste Blau

Titel: Das dunkelste Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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hat Mathilde dich angerufen«, begann ich nervös.
    »Ja. Gott, die redet vielleicht schnell. Ich habe nicht ganz verstanden, warum du mich nicht selbst anrufen konntest.«
    Ich zuckte die Achseln. Ich fühlte, wie sich mein Magen verspannte.
    »Hör zu, Ella, ich möchte ein paar Dinge sagen, okay?«
    Ich nickte.
    »Also, ich weiß, daß dieser Umzug nach Frankreich schwer war für dich. Schwerer für dich als für mich. Ich mußte einfach nur in einem anderen Büro arbeiten. Die Leute sind anders, aber die Arbeit ist ähnlich. Aber du hast hier keine Arbeit, keine Freunde, und du fühlst dich natürlich isoliert und gelangweilt. Ich verstehe, daß du unglücklich bist. Vielleicht habe ich mich auch nicht genug um dich gekümmert, weil ich soviel zu tun hatte. Also langweilst du dich, und, na ja, ich kann schon verstehen, daß es da Versuchungen gibt, sogar in einem Kaff wie Lisle.«
    Er blickte auf die Schuppenflechte an meinen Armen; sie schien ihn einen Moment lang abzustoßen.
    »Also hab ich mir gedacht«, sagte er, »daß wir versuchen sollten, neu anzufangen.«
    Der Kellner unterbrach ihn, um unsere Bestellung aufzunehmen. Ich war so nervös, daß ich mir nicht vorstellen konnte, einen einzigen Bissen herunterzubringen, aber der Form halber bestellte ich die einfachste Pizza, die es gab. Es war heiß und eng in dem Restaurant; Schweiß trat mir auf die Stirn, und meine Handflächen wurden feucht. Ich trank zitternd einen Schluck Wasser.
    »Und«, fuhr Rick fort, »dafür gibt es einen einfachen Weg. Du erinnerst dich, daß ich wegen dieses Wohnprojekts in Frankfurt war?«
    Ich nickte.
    »Man hat mich gebeten, es zu übernehmen, es wird ein gemeinsames Projekt zwischen unseren beiden Firmen, und ich soll es leiten.« Er hielt inne und sah mich erwartungsvoll an.
    »Das ist ja toll, Rick. Das ist prima für dich.«
    »Siehst du? Wir ziehen nach Deutschland. Das ist unsere Chance für einen Neuanfang.«
    »Aus Frankreich wegziehen?«
    Mein Ton überraschte ihn. »Ella, du hast nichts anderes getan, als über dieses Land zu schimpfen, seit du hier bist. Daß die Leute nicht nett sind, daß du keine Freundschaften schließen kannst, daß dich alle wie eine Fremde behandeln, daß sie zu formell sind. Warum willst du jetzt plötzlich bleiben?«
    »Es ist meine Heimat«, sagte ich schwach.
    »Sieh mal, ich versuche, vernünftig zu sein. Und ich denke, daß ich mich eigentlich ganz anständig verhalte. Ich bin bereit, diese ganze Sache mit – du weißt schon – zu vergeben und zu vergessen. Alles, was ich erwarte, ist, daß du von ihm wegziehst. Ist das etwa zuviel verlangt?«
    »Nein, wahrscheinlich nicht.«
    »Gut.« Er sah mich an, und sein guter Wille verließ ihn für einen Augenblick. »Also gibst du zu, daß etwas mit ihm war.«
    Der Klumpen in meinem Magen bewegte sich, Schweißperlen standen auf meiner Oberlippe. Ich stand auf. »Ich muß eine Toilette finden. Ich bin gleich wieder da.«
    Es gelang mir, ruhig vom Tisch wegzugehen, aber sobald ich die Toilette erreicht und die Tür hinter mir geschlossen hatte, ließ ich mich gehen und erbrach mich in langen, erschöpfenden Zügen, die meinen ganzen Körper schüttelten. Es fühlte sich an, als hätte ich lange darauf gewartet, als hätte ich alles erbrochen, was ich in Frankreich und in der Schweiz gegessen hatte.
    Schließlich war mein Magen völlig leer. Ich richtete mich wieder auf und lehnte mich an die Wand der Toilettenkabine, das Deckenlicht beleuchtete mich wie ein Scheinwerfer. Meine ganze Anspannung war mit weggespült worden; obwohl ichsehr erschöpft war, konnte ich zum ersten Mal seit Tagen klar denken.
    »Deutschland. Um Himmels willen«, murmelte ich.
    Als ich zum Tisch zurückkam, waren unsere Pizzen bereits da. Ich nahm meine, stellte sie auf den leeren Tisch neben uns und setzte mich hin.
    »Bist du in Ordnung?« fragte Rick und runzelte leicht die Stirn. »Alles klar?«
    »Ja.« Ich räusperte mich. »Rick, ich muß dir etwas sagen.«
    Er sah mich ängstlich an; er wußte wirklich nicht, was ich sagen würde.
    »Ich bin schwanger.«
    Es durchfuhr ihn wie ein Schlag. Sein Gesicht glich einem Fernseher, der alle paar Sekunden den Kanal wechselte, während die verschiedensten Gedanken durch seinen Kopf schossen.
    »Aber das ist ja wunderbar! Das war doch, was du wolltest, oder? Außer –« Der Zweifel in seinem Gesicht war so schmerzlich, daß ich beinahe den Arm ausgestreckt und seine Hand genommen hätte. Es dämmerte mir in dem Moment,

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