Das dunkelste Blau
ausholte und ihr eine Ohrfeige gab.
Ob Soldaten kamen oder nicht, die Ernte mußte eingebracht werden. Die Männer gingen wie üblich aufs Feld, aber Jean mähte ein Feld in der Nähe des Hauses ab, und Isabelle ging nicht mit dem Rechen hinterher, wie sie das normalerweise getan hätte – sie und Marie blieben bei Hannah im Haus und halfen beim Einmachen. Petit Jean und Jacob arbeiteten hinter ihrem Vater und Großvater und rechten den Roggen in Bündel, obwohl Jacob kaum groß genug war, den Rechen zu halten.
Im Haus sprachen Isabelle und Hannah wenig; die Leere, die Susanne hinterlassen hatte, verschloß ihnen den Mund. Zweimal hörte Isabelle auf zu rühren, starrte vor sich hin, und fluchte, als heißer Pflaumensaft auf ihre Arme spritzte. Schließlich schob Hannah sie zur Seite.
– Der Honig ist zu wertvoll, um von untätigen Händen verschwendet zu werden, knurrte sie.
Isabelle kochte statt dessen das Steingut aus und ging oft zur Tür, um eine kühle Brise zu erhaschen oder auf die Stille des Tals zu lauschen. Einmal folgte Marie ihr und stand neben ihr in der Tür. Ihre winzigen Hände waren violett verfärbt vom Pflaumenlesen; sie mußte die unreifen und verrotteten heraussuchen.
– Maman, sagte sie leise, denn jetzt wußte sie, daß sie die Stimme dämpfen mußte, Maman, warum sind sie fortgegangen?
– Sie sind gegangen, weil sie Angst hatten, erwiderte Isabelle nach einem Moment und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
– Angst wovor?
– Vor bösen Männern, die ihnen weh tun wollen.
– Böse Männer kommen hierher?
Isabelle schob die Hände unter die Schürze, so daß Marie nicht sehen konnte, wie sehr sie zitterten.
– Nein, chérie , ich glaube nicht. Aber sie haben sich Sorgen gemacht um Susanne und das Kind.
– Werde ich Deborah bald wiedersehen?
– Ja.
Marie hatte die hellblauen Augen ihres Vaters und, zu Isabelles Erleichterung, auch sein blondes Haar. Wenn es rot gewesen wäre, hätte Isabelle es mit dem Saft schwarzer Walnüsse gefärbt. Maries helle Augen sahen nun zu ihr hoch, verstört und unsicher. Isabelle hatte sie nie anlügen können.
Pierre La Forêt kam zum Feld, als Isabelle den Männern gerade ihr Essen brachte. Er erzählte, wer geflohen war – nicht viele, nur solche mit Reichtümern, die hätten erbeutet werden können, oder mit Töchtern, die hätten vergewaltigt werden können, oder mit Verbindungen zum Duc.
Er hob die überraschendste Nachricht bis zum Schluß auf.
– Monsieur Marcel ist fort, verkündete er mit kaum verhohlener Schadenfreude. Er ist nach Norden gegangen, über den Mont Lozère.
Es war still. Jean hob seine Sense auf.
– Er wird zurückkommen, sagte er kurz und wandte sich erneut dem Roggen zu. Pierre La Forêt sah seinen rhythmischen Bewegungen zu, dann blickte er sich angstvoll um, als erinnerte er sich erst jetzt, daß jeden Augenblick Soldaten hier sein konnten. Er pfiff seinem Hund und ging rasch davon.
Die Arbeit auf den Feldern war an diesem Morgen nur mäßigvorangekommen. Außer Bertrand und Susanne waren auch die Tagelöhner, die Jean für die Ernte angeheuert hatte, weggeblieben; sie hatten Angst wegen der Verbindung der Tourniers zum Duc. Die Jungen konnten nicht mit den Männern mithalten, so daß Jean und Etienne ab und zu gezwungen waren, die Sense wegzulegen und eine Zeitlang zu rechen, um nachzukommen.
– Laßt mich doch rechen, schlug Isabelle nun vor, die Hannah und dem bedrückenden Haus entkommen wollte. Deine Mutter – Maman – kann das Einmachen alleine schaffen. Jacob und Marie können ihr helfen. Bitte. Sie nannte Hannah selten Maman, nur wenn eine Schmeichelei notwendig war.
Zu ihrer großen Erleichterung waren die Männer einverstanden und schickten Jacob zum Haus zurück. Isabelle und Petit Jean gingen hinter den Sensen her und rechten, so schnell sie konnten, bündelten den Roggen und lehnten dann die Garben zum Trocknen aneinander. Sie arbeiteten so schnell, daß der Schweiß ihre Kleider durchnäßte. Ab und zu hielt Isabelle an, um sich umzusehen und zu lauschen. Der Himmel war diesiggelb, dabei aber weit und leer. Es schien, als hielte die Welt selbst inne und warte mit ihr gemeinsam.
Jacob war es, der sie hörte. Am späten Nachmittag erschien er an einem Ende des Feldes und rannte zu ihnen hin. Sie hörten alle mit der Arbeit auf und sahen ihm entgegen, während Isabelles Herz zu rasen anfing. Als er sie erreichte, beugte er sich vornüber, stützte die Hände auf die Schenkel und
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