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Das dunkelste Blau

Das dunkelste Blau

Titel: Das dunkelste Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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eisige Stille. Dann stand Isabelle ruhig auf; sie fühlte das blaue Licht um sich herum, das sie beschützte. Sie nahm Marie auf den Arm.
    – Halt dich an mir fest, flüsterte sie, und Marie schlang die Arme um den Hals der Mutter, die Beine um ihre Taille, so daß der Lavendel zwischen ihnen zerdrückt wurde. Isabelle nahm Jacobs Hand und bedeutete Petit Jean, seine andere Hand zu nehmen. Wie in Trance führte sie die Kinder quer durch den Raum, schob den Riegel zurück und ging in den Stall. Sie wichen dem Pferd aus, das hin- und hertänzelte und wieherte, nervös wegen des Rauchgeruchs und der anderen Pferde im Hof. Am anderen Ende des Stalles schob Isabelle den Riegel einer kleinen Tür, die in den Küchengarten führte, zurück. Zusammen gingen sie zwischen Kohl und Tomaten, Karotten, Zwiebeln und Kräutern hindurch, Isabelles Rock streifte den Salbeibusch, und der verströmte seinen vertrauten herben Duft.
    Sie erreichten den pilzförmigen Felsen an der unteren Seite des Gartens und blieben stehen. Jacob drückte die Hände kurz gegen den Felsen. Dahinter war ein brachliegendes Feld, das die Ziegen kurzgefressen hatten und das nun nach einem Sommer voller Sonne trocken und braun dalag. Sie rannten los, quer über das Feld, zuerst die Jungen, dann Isabelle mit Marie, die sich immer noch an ihr festhielt.
    Auf halbem Weg bemerkte Isabelle plötzlich, daß Hannah nicht mitgekommen war. Sie fluchte laut.
    Sie kamen sicher zu den Kastanienbäumen. An der cleda setzte Isabelle Marie ab und wandte sich an Petit Jean.
    – Ich muß zurück, um Mémé zu holen. Du bist gut im Verstecken. Wartet hier, bis ich zurückkomme. Aber versteckt euch nicht in der cleda , sie werden sie vielleicht anzünden. Und wenn sie kommen und ihr weglaufen müßt, rennt zum Haus meines Vaters, über die Felder, nicht auf dem Weg. D’accord?
    Petit Jean nickte und zog sein Messer aus der Tasche, seine blauen Augen leuchteten.
    Isabelle drehte sich um und sah zurück. Die Farm stand nun in Flammen. Die Schweine schrien, die Hunde heulten, und das Heulen wurde von allen Hunden im Tal zurückgegeben. Das Dorf weiß, was hier passiert, dachte sie. Werden sie kommen und helfen? Oder werden sie sich verstecken? Sie sah die Kinder an, Marie und Jacob mit großen Augen und ruhig, Petit Jean, der den Wald mit den Augen absuchte.
    – Allez , sagte sie. Stumm führte Petit Jean die beiden anderen ins Unterholz.
    Isabelle verließ den Schutz der Bäume und huschte am Rand des Feldes entlang. In einiger Entfernung konnte sie das Feld sehen, auf dem sie den ganzen Tag gearbeitet hatten: Die Bündel, die sie und Petit Jean und Jacob zusammengerecht hatten, rauchten. Sie hörte entfernte Schreie, Gelächter und einen Ton, der ihr die Haare zu Berge stehen ließ. Als sie näher kam, roch sie verbranntes Fleisch, ein Geruch, der vertraut und doch seltsam war. Die Schweine, dachte sie. Die Schweine und – ihr wurde klar, was die Soldaten getan hatten.
    – Sainte Vierge, aide-nous , keuchte sie und bekreuzigte sich.
    Im unteren Teil des Gartens war der Rauch so dicht, daß es schien, als wäre die Nacht angebrochen. Sie kroch durch das Gemüse und fand Hannah in der Mitte, auf den Knien, einen Kohlkopf an sich gepreßt. Die Tränen hinterließen Furchen in ihrem verrußten Gesicht.
    Viens, Méme , flüsterte Isabelle, legte die Arme um Hannahs Schultern und zog sie hoch. Viens.
    Die alte Frau weinte lautlos und ließ sich von Isabelle durch den Garten und zum Feld hinausführen. Hinter sich hörten sie die Soldaten in den Garten galoppieren, aber der dichte Rauch verbarg die Frauen. Sie blieben am Feldrand und folgten dem niedrigen Steinwall, den Jean viele Jahre zuvor gebaut hatte. Hannah blieb oft stehen, um sich umzusehen, und Isabelle mußte sie weiterdrängen, ihren Arm um sie legen und sie mitzerren.
    Der Soldat tauchte so plötzlich auf, als wäre er von Gott vom Himmel geworfen worden. Sie hätten ihn hinter sich erwartet; statt dessen kam er genau aus dem Wäldchen, auf das sie zurannten. Er kam im Galopp über das Feld, mit erhobenem Schwert und, wie Isabelle sah, als er näher gekommen war, mit einem Grinsen im Gesicht. Sie stöhnte auf und stolperte rückwärts, zog Hannah dabei mit sich.
    Als der Mann so nah war, daß sie seinen Schweiß roch, erhob sich plötzlich eine graue Gestalt vom Boden und schüttelte dabei gelangweilt ein Hinterbein. Sofort stieg das Pferd und wieherte. Der Soldat fiel aus dem Sattel zu Boden. Sein Pferd raste zurück

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