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Das dunkelste Blau

Das dunkelste Blau

Titel: Das dunkelste Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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machte jeden Tag Armdrücken mit Etienne, unterrichtete Petit Jean im Schnitzen und brachte sie alle abends am Feuer mit seinen Geschichten über den Wolf und den Fuchs zum Lachen. Er behandelte Susanne mit einer Zärtlichkeit, um die Isabelle sie beneidete. Ein paarmal hatte sie gesehen, wie er seinenWiderstand hinuntergeschluckt hatte; offensichtlich hatte sich die Wut in ihm angesammelt, und er schien nur auf einen Augenblick wie diesen gewartet zu haben.
    Dann überraschte Jean sie alle.
    – Geh, sagte er rauh. Aber nimm den Esel, nicht das Pferd. Er drehte sich um und ging zur Scheunentür, schwang sie auf und verschwand dahinter.
    Etienne sah zu Isabelle hinauf, und dann auf seine Hände. Sie wußte, daß sie Bertrand nicht folgen würden. Etiennes Heirat mit ihr war sein einziger Akt des Widerstands gewesen. Zu einem weiteren hatte er keine Willenskraft mehr übrig.
    Isabelle wandte sich an ihre Schwägerin.
    – Wenn du den Esel reitest, flüsterte sie, mußt du seitlich reiten, um das Kind mit deinen Beinen zu stützen. So wirst du es daran hindern, zu früh zu kommen. Reite seitlich, wiederholte sie, denn Susanne starrte ins Leere wie unter Schock. Sie drehte sich um und sah Isabelle ins Gesicht.
    – Du meinst, wie die Jungfrau, als sie nach Ägypten ritt?
    – Ja. Ja, genau wie die Jungfrau.
    Lange hatten sie nicht mehr von ihr gesprochen.
    Deborah und Marie schliefen in ein Leintuch gewickelt, als Susanne und Isabelle Deborah kurz vor der Dämmerung aufweckten. Auch Marie wachte auf und sagte laut: – Warum geht Deborah weg? Warum geht sie weg? Jacob schlug die Augen auf, sein Gesicht war zerknittert. Dann setzte sich Petit Jean, der immer noch angezogen war, auf.
    – Maman, wohin gehen sie? flüsterte er heiser. Werden sie Soldaten sehen? Und Pferde und Flaggen? Werden sie Onkel Jacques sehen?
    – Onkel Jacques ist kein katholischer Soldat; er kämpfte in Colignys Armee im Norden.
    – Aber der Verwalter hat gesagt, daß Coligny getötet worden ist.
    – Ja.
    – Also kommt Onkel Jacques vielleicht zurück.
    Isabelle antwortete nicht. Jacques Tournier war vor zehn Jahren in die Armee eingetreten, zur gleichen Zeit wie viele andere junge Männer aus Mont Lozère. Er war einmal zurückgekommen, vernarbt, rauh, voller Geschichten, eine davon über Isabelles Brüder, die von demselben Speer durchbohrt worden waren. – Wie es sich gehört für Zwillinge, hatte Jacques brutal hinzugefügt und gelacht, als Isabelle sich abwandte. Petit Jean betete Jacques an. Isabelle haßte ihn; seine Augen folgten ihr überall hin, ruhten aber nie auf ihrem Gesicht. Er stachelte Etienne zu einer harten Ausgelassenheit an, die sie beunruhigte. Aber Jacques war nicht lange geblieben: Der Ruf des Blutes und des Abenteuers war zu stark, stärker sogar als die Verpflichtungen gegenüber der Familie.
    Die Kinder folgten den Frauen die Leiter hinab und in den Garten hinaus, wo die Männer den Esel mit ein paar Habseligkeiten und Nahrungsmitteln beladen hatten: Ziegenkäse und harte dunkle Laibe Kastanienbrot, das Isabelle schnell in den paar Stunden vor Sonnenaufgang gebacken hatte.
    – Komm, Susanne. Bertrand winkte.
    Susanne suchte mit den Augen nach ihrer Mutter, aber Hannah war nicht nach draußen gekommen. Sie wandte sich zu Isabelle, küßte sie dreimal und schlang die Arme um ihren Hals.
    – Reite seitlich, flüsterte Isabelle ihr ins Ohr. Und sag ihnen, daß sie anhalten sollen, wenn die Wehen anfangen. Mögen die Jungfrau und die heilige Margareta dich beschützen und dich sicher nach Alès bringen.
    Sie hoben Susanne auf den Esel, zwischen die Bündel, die Beine auf der einen Seite.
    – Adieu, Papa, petits , sagte sie und nickte Jean und den Kindern zu. Deborah kletterte auf Bertrands Rücken. Er nahm das Seil, das am Halfter des Esels befestigt war, schnalzte und trieb ihn an, und sie stiegen den Bergpfad in raschem Tempo hinab.Etienne und Petit Jean kamen hinterher, um sie bis zur Straße nach Alès zu begleiten, wo sie die Duchesse treffen würden. Susannes kleines, weißes Gesicht blickte sich nach Isabelle um, bis sie außer Sichtweite war.
    – Großvater, warum gehen sie weg? Warum geht Deborah weg? fragte Marie. Im Abstand von nur einer Woche geboren, waren die Cousinen bis dahin unzertrennlich gewesen. Jean wandte sich ab. Marie folgte Isabelle ins Haus und stellte sich neben Hannah, die sich am Feuer zu schaffen machte.
    – Warum, Mémé, warum geht Deborah weg? fragte sie fortwährend, bis Hannah

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