Das dunkelste Blau
Gemäldes, bewegte und veränderte sich, Schmerz und ein seltsamer Friede kämpften in ihren Zügen miteinander, als sie auf ihren toten Sohn hinunterblickte. Ihr Gesicht war von einer Farbe umrahmt, die ihre Agonie widerspiegelte.
Als ich davorstand, schnellte meine rechte Hand unwillkürlich hoch und machte das Zeichen des Kreuzes. In meinem ganzen Leben hatte ich noch nie eine solche Geste gemacht.
Ich sah auf das Schild neben dem Gemälde und las den Titel sowie den Namen des Malers. Ich stand für eine lange Zeit reglos, der Raum der Kirche dehnte sich um mich aus. Dann bekreuzigte ich mich erneut und sagte »Heilige Mutter, hilf mir«, und fing an zu lachen.
Ich hätte nie vermutet, daß es einen Maler in meiner Familie gegeben hatte.
3. Die Flucht
Isabelle setzte sich auf und sah zum Bett der Kinder hinüber. Jacob war schon wach, hatte die Arme um die Knie geschlungen und das Kinn daraufgestützt. Er hatte das beste Gehör von allen.
– Ein Pferd, sagte er leise.
Isabelle stieß Etienne an.
– Ein Pferd, flüsterte sie.
Ihr Mann sprang auf, noch halb im Schlaf, sein Haar war dunkel von Schweiß. Seine Beinkleider hochziehend, rüttelte er gleichzeitig Bertrand wach. Gemeinsam glitten sie die Leiter hinab, als jemand anfing, gegen die Tür zu hämmern. Isabelle lugte über den Dachbodenrand und sah, wie die Männer unten Äxte und Messer ergriffen. Hannah erschien aus dem Hinterzimmer mit einer Kerze. Nachdem er etwas durch den Türspalt geflüstert und die Antwort vernommen hatte, legte Jean die Axt nieder und schob den Riegel zurück.
Der Verwalter des Duc de l’Aigle war ihnen nicht fremd. Er tauchte von Zeit zu Zeit auf, um sich mit Jean Tournier zu besprechen. Von diesem Haus aus sammelte er die Abgaben von den umliegenden Höfen ein und notierte alles sorgfältig in seinem kalbsledergebundenen Buch. Klein, dick und vollkommen kahl, machte er den Verlust an Körpergröße durch eine donnernde Stimme wett, die Jean nun vergeblich zu dämpfen versuchte. Mit so einer Stimme konnte es keine Geheimnisse geben.
– Der Duc ist in Paris ermordet worden!
Hannah keuchte auf und ließ die Kerze fallen. Isabelle bekreuzigte sich unbewußt, umklammerte dann ihren Nacken und sahsich um. Alle vier Kinder saßen nun in einer Reihe nebeneinander, Susanne neben ihnen am Rand, vorsichtig ihren riesigen Bauch balancierend. Bald wird sie soweit sein, dachte Isabelle und maß sie automatisch mit einem prüfenden Blick. Obwohl sie es jetzt nicht mehr anwandte, war das alte Wissen stets bei ihr.
Petit Jean hatte angefangen, mit dem Messer zu schnitzen, das er immer, sogar im Bett, bei sich hatte. Jacob war still, und seine braunen Augen, die denen seiner Mutter glichen, waren groß. Marie und Deborah lehnten aneinander, Deborah sah verschlafen aus, Maries Augen waren hell.
– Maman, was ist ermordet? rief sie mit einer Stimme, die klang, wie wenn eine Kupferpfanne geschlagen würde.
– Schsch, flüsterte Isabelle. Sie kroch ans Ende des Bettes, um zu hören, was der Verwalter sagte. Susanne kam und setzte sich neben sie, und beide lehnten sich vor, die Arme auf das Geländer gestützt.
– . . . vor zehn Tagen, bei der Hochzeit von Henri de Navarre. Die Tore wurden geschlossen, und Tausende von Anhängern der Wahrheit sind abgeschlachtet worden. Coligny genauso wie unser Duc. Und es greift auf die Provinz über. Überall töten sie ehrliche Leute.
– Aber wir sind hier weit weg von Paris, und hier sind alle Anhänger der Wahrheit, erwiderte Jean. Wir sind hier sicher vor den Katholiken.
– Es wird behauptet, daß eine Garnison aus Mende kommt, dröhnte der Verwalter. Um den Tod des Duc auszunutzen. Sie werden zu dir kommen, dem syndic des Duc. Die Duchesse flieht nach Alès und kommt hier in ein paar Stunden vorüber. Du solltest mit uns kommen und deine Familie retten. Sie bietet das sonst niemandem an. Nur den Tourniers.
– Nein.
Es war Hannah, die antwortete. Sie hatte die Kerze wieder angezündet und stand breitbeinig in der Mitte des Raumes, der silberne Zopf hing ihr über den leicht buckligen Rücken.
– Wir brauchen dieses Haus nicht zu verlassen, fuhr sie fort. Wir sind hier beschützt.
– Und wir haben eine Ernte einzubringen, fügte Jean hinzu.
– Ich hoffe, du änderst deine Ansicht noch. Deine Familie – egal wer von deiner Familie – darf die Duchesse gerne begleiten.
Isabelle glaubte einen raschen Blick des Verwalters zu Bertrand hin zu sehen. Susanne rutschte nervös hin und
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