Das dunkelste Blau
schnappte nach Luft.
– Ecoute, Papa , war alles, was er sagte, als er wieder sprechen konnte. Er zeigte zum Tal hinunter. Sie lauschten. Zuerst hörte Isabelle nichts außer den Vögeln und ihrem eigenen Atem. Dann konnte sie ein dumpfes Grollen vernehmen.
– Zehn. Zehn Pferde, verkündete Jacob. Isabelle ließ ihren Rechen fallen, nahm Jacobs Hand und rannte.
Petit Jean war am schnellsten; mit seinen gerade neun Jahren überholte er seinen Vater leicht, sogar nach einem harten Arbeitstag.Er rannte in die Scheune, um die Riegel vorzuschieben. Etienne und Jean holten Wasser von einem nahe gelegenen Bach, während Isabelle und Jacob begannen, die Läden zu schließen.
Marie stand in der Mitte des Raumes und drückte einen Arm voller Lavendel an ihre Brust. Hannah setzte ihre Arbeit am Feuer fort, als wäre sie blind gegenüber der Hast um sie herum. Erst als sie sich alle um den Tisch versammelt hatten, drehte die alte Frau sich um und sagte einfach: – Wir sind sicher.
Das waren die letzten Worte, die Isabelle sie sprechen hörte.
Es dauerte eine Weile, bis sie auftauchten.
Die Familie saß schweigend um den Tisch, jeder an seinem gewohnten Platz, aber ohne Essen vor sich. Es war dunkel drinnen: Das Feuer war niedergebrannt, keine Kerzen waren angezündet worden, und das einzige Licht fiel durch die Ritzen in den Fensterläden. Isabelle saß auf einer Bank, hatte Marie dicht an ihrer Seite und hielt ihre Hand; der Lavendel lag auf ihrem Schoß. Jean saß sehr aufrecht am Kopfende des Tisches. Etienne starrte auf seine gefalteten Hände. Seine Wange zuckte; ansonsten war er so unbeweglich wie sein Vater. Hannah rieb sich das Gesicht und preßte den Nasenrücken zwischen Daumen und Zeigefinger, während sie die Augen geschlossen hielt. Petit Jean hatte sein Messer herausgeholt und es vor sich auf den Tisch gelegt. Unentwegt nahm er es hoch, ließ es aufblitzen, prüfte die Klinge mit der Fingerspitze und legte es wieder hin. Jacob, der allein auf der Bank, wo Susanne, Bertrand und Deborah gewöhnlich saßen, zurückgeblieben war, hielt einen runden Stein in der Hand. Die restlichen waren in seiner Tasche. Er hatte die farbig leuchtenden Steine im Tarn immer gern gehabt, besonders die dunkelroten und gelben. Er behielt sie auch noch, wenn sie getrocknet waren und stumpfgrau und braun wurden. Wenn er ihre wirklichen Farben sehen wollte, leckte er daran.
Die Lücken in der Bank schienen Isabelle mit den Geisternihrer Familie ausgefüllt zu sein – ihre Mutter, ihre Schwester, ihre Brüder. Sie schüttelte den Kopf und schloß die Augen, während sie sich vorzustellen versuchte, wo Susanne gerade war, bei der Duchesse in Sicherheit. Als das mißlang, dachte sie an das Blau der Jungfrau, eine Farbe, die sie jahrelang nicht mehr gesehen hatte, die sie aber in diesem Moment vor Augen hatte, als wären die Wände des Hauses damit gestrichen. Sie atmete tief durch, und ihr Herzschlag wurde langsamer. Sie öffnete die Augen. Die Lücken am Tisch schimmerten in blauem Licht.
Als die Pferde kamen, ertönten Rufe und Pfiffe und dann ein lautes Hämmern an die Tür, das alle aufspringen ließ.
– Laßt uns singen, sagte Jean fest und begann mit tiefem, sicherem Baß: J’ai mis en toi mon espérance: Garde-moi donc, Seigneur, D’éternel déshonneur: Octroye-moi ma délivrance, Par ta grande bonté haute, Qui jamais ne fit faute. Alle fielen ein, außer Hannah, die immer gesagt hatte, daß Singen frivol sei, und die lieber die Worte vor sich hinmurmelte. Die Kinder sangen mit hohen Stimmen, Marie hatte Schluckauf vor Angst.
Sie beendeten den Psalm unter der Begleitung von rüttelnden Fensterläden und rhythmischem Donnern an der Tür. Gerade hatten sie einen weiteren Psalm angefangen, als das Hämmern aufhörte. Kurz darauf folgte ein Scharren und Poltern gegen die Unterseite der Tür, dann ein Knistern und der Geruch von Rauch. Etienne und Jean standen auf und gingen zur Tür. Etienne nahm einen Eimer Wasser und nickte. Jean zog leise den Riegel zurück und öffnete die Tür einen Spaltbreit. Etienne schüttete das Wasser mit einem Schwung hinaus, als die Tür gewaltsam aufgestoßen wurde und eine Flammenwand ins Innere sprang. Zwei Hände packten Jean an der Kehle und zerrten ihn nach draußen, die Tür krachte hinter ihm zu.
Etienne kämpfte sich zur Tür durch, riß sie wieder auf und war sofort von Rauch und Feuer umhüllt.
– Papa! schrie er und verschwand in den Hof.
Drinnen herrschte eine seltsame,
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