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Das dunkelste Blau

Das dunkelste Blau

Titel: Das dunkelste Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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Sängerin, saßen auf Bänken an zwei Seiten eines langen Tisches. Sie drängten sich zusammen, um Platz für uns zu schaffen. Ich landete neben der Sängerin gegenüber von Jean-Paul, unsere Knie berührten sich unter dem schmalen Tisch, der mit Bierflaschen und Weingläsern vollgestellt war. Ich lächelte vor mich hin.
    Der Tisch diskutierte über Musik, alle fachsimpelten über französische Sänger, von denen ich noch nie gehört hatte, und tobten vor Lachen über kulturelle Anspielungen, die mir nichts sagten. Es war so laut, und sie sprachen so schnell, daß ich nach einer Weile nicht mehr zuhörte. Jean-Paul zündete sich eine Zigarette an und lächelte über manche Witze, schwieg aber ansonsten. Ich fühlte seine Augen ab und zu auf mir ruhen; als ich seinen Blick einmal zurückgab, fragte er: »Ça va?«
    Ich nickte. Janine, die Sängerin, wandte sich an mich und fragte: »Also, findest du Ella Fitzgerald oder Billie Holiday besser?«
    »Oh, ich höre beide nicht sehr viel.« Das klang unfreundlich; schließlich gab sie mir eine Chance, an der Unterhaltung teilzunehmen. Ich wollte mir außerdem beweisen, daß ich nicht eifersüchtig auf sie war, auf ihre Schönheit und ihren selbstbewußten Stil, ihre Verbindung mit Jean-Paul. »Ich mag Frank Sinatra«, fügte ich schnell hinzu.
    Ein Mann mit wenig Haaren, einem kindlichen Gesicht und Dreitagebart, der neben Jean-Paul saß, schnaubte. »Zu sentimental. Zuviel show-biz .« Er wedelte mit den Händen neben seinen Ohren, während er ein kitschiges Grinsen mimte. »Dagegen Nat King Cole, das ist was ganz anderes!«
    »Ja, aber –« fing ich an. Der Tisch sah mich erwartungsvoll an. Ich erinnerte mich an etwas, was mein Vater gesagt hatte, etwas über Sinatras Technik, und versuchte verzweifelt, es schnell im Kopf zu übersetzen: genau das, was ich nie tun sollte, wie Madame Sentier mir gesagt hatte.
    »Frank Sinatra singt ohne zu atmen«, sagte ich und hielt inne. Das war nicht, was ich meinte. Ich wollte sagen, daß er so flüssig sang, daß man ihn nicht atmen hörte, aber mein Französisch verließ mich. »Seine –«
    Aber die Unterhaltung war längst woanders; ich war nicht schnell genug gewesen. Ich verzog das Gesicht und schüttelte leicht den Kopf, war ärgerlich über mich selbst und verlegen, sowie man sich fühlt, wenn man anfängt, eine Geschichte zu erzählen, und plötzlich merkt, daß niemand zuhört.
    Jean-Paul beugte sich herüber und faßte nach meiner Hand. »Du erinnerst mich daran, wie es mir in New York gegangen ist«, sagte er auf englisch. »Manchmal, wenn ich in einer Bar war, konnte ich gar nichts verstehen, alle schrien herum und benutzten Wörter, die ich nicht kannte.«
    »Auf französisch kann ich noch nicht schnell genug denken. Besonders keine komplizierten Gedanken.«
    »Das kommt schon noch. Wenn du lange genug hierbleibst, wird es ganz von selber gehen.«
    Der Mann mit dem Kindergesicht hörte, daß wir Englisch sprachen, und musterte mich von Kopf bis Fuß. »Tu es américaine?« wollte er wissen.
    »Oui.«
    Meine Antwort hatte einen merkwürdigen Effekt: Es war, als raste eine elektrische Spannung um den Tisch herum. Alle setzten sich aufrecht und sahen von mir zu Jean-Paul. Ich sah ihn auch an, verwirrt über die allgemeine Reaktion. Jean-Paul griff nach seinem Glas, und mit einer schnellen Handbewegung schüttete er den Rest seines Whiskeys hinunter, eine Geste, die trotzig wirkte.
    Der Mann grinste zynisch. »Ah, aber du bist ja gar nicht fett. Warum bist du nicht wie alle anderen Amerikaner?« Er blies die Backen auf und formte mit den Händen imaginäre Rundungen.
    Eins wußte ich über mein Französisch – wenn ich wütend war, ging es wie ein Wasserfall. »Es gibt zwar fette Amerikaner, aber wenigstens haben sie keine großen Mäuler wie die Franzosen!«
    Der Tisch brach in Gelächter aus, sogar der Mann. Eigentlich sah er so aus, als warte er auf mehr. Verdammt, dachte ich. Jetzt habe ich den Köder geschluckt, und er wird mich stundenlang nicht in Ruhe lassen.
    Er lehnte sich vor.
    Also los, Ella, Angriff ist die beste Verteidigung. Das war Ricks Lieblingsmotto; ich konnte ihn beinahe hören.
    Bevor er einen Satz herausbrachte, unterbrach ich ihn. »Aha, Amerika. Natürlich fangen Sie jetzt an von, warten Sie, ich muß es in die richtige Reihenfolge bringen. Vietnam. Nein, vielleicht zuerst amerikanische Filme und Fernsehen, Hollywood, McDonald’s auf den Champs-Elysées.« Ich zählte es an den Fingern ab. »

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