Das dunkelste Blau
tonlos vor sich hin, während er die Stühle auf die Tische stellte. »Komm, François, sei ausnahmsweise kein Geizkragen und bring uns noch zwei Whiskeys.« François grinste breit, ging aber hinter die Bar und schenkte drei Gläser ein. Mit einer kurzen Verbeugung stellte er eines vor mich hin und stellte ein anderes auf das Klavier. Dann nahm er die Kasse heraus und verschwand mit ihr und seinem Glas in ein Hinterzimmer.
Wir hoben die Gläser und tranken beide gleichzeitig.
»Ein schönes Licht da über deinem Kopf, Ella Tournier.« Ichsah nach oben zu dem sanften gelben Strahler: Er berührte mein Haar und tauchte es in Kupfer und Gold. Ich sah zu Jean-Paul zurück; er spielte einen tiefen, weichen Akkord.
»Hast du eine Ausbildung in klassischer Musik gehabt?«
»Ja, als Kind.«
»Kannst du was von Erik Satie?«
Er setzte sein Glas ab und begann, ein Stück zu spielen, das ich erkannte, im Fünfvierteltakt mit einer gleichmäßigen, eindringlichen Melodie. Es paßte ideal zum Raum, zum Licht, zu genau dieser Stunde. Während er spielte, ließ ich die Hände in den Schoß sinken, zog meinen Ring ab und ließ ihn in die Tasche meines Kleides fallen.
Er ließ die Hände noch einen Augenblick lang auf den Tasten ruhen, nahm dann sein Glas und leerte es mit einem Zug. »Wir müssen gehen«, sagte er und stand auf. »François braucht seinen Schlaf.«
Nach draußen zu gehen war, wie wenn man wieder hinausging, nachdem man eine Woche lang die Grippe gehabt hatte: Die Welt schien groß und seltsam, und ich fühlte mich etwas orientierungslos. Es war kühler geworden, und am Himmel standen Sterne. Wir gingen an dem Gemälde von der Frau und den Soldaten vorbei. »Wer ist sie?« fragte ich.
»Das ist La Dame du Plô. Sie war eine katharische Märtyrerin im dreizehnten Jahrhundert. Soldaten haben sie vergewaltigt, dann in einen Brunnen geworfen und ihn mit Steinen gefüllt.«
Ich schauderte, und er legte seinen Arm um mich. »Komm«, sagte er, »oder du wirst mir wieder vorwerfen, daß ich zur falschen Zeit von den falschen Dingen spreche.«
Ich lachte. »Wie von Goethe.«
»Ja, wie von Goethe.«
Vorher hatte ich mich gefragt, ob es einen Augenblick geben würde, in dem wir eine Entscheidung würden treffen müssen, diskutieren oder analysieren würden. Jetzt, da der Moment gekommen war, war klar, daß wir den ganzen Abend über stummabgewägt hatten und eine Entscheidung längst gefallen war. Es war erleichternd, nicht zu sprechen, einfach zu seinem Wagen zu gehen und einzusteigen. Auch auf der Rückfahrt sprachen wir kaum. Als wir am Dom vorbeikamen, sah er mein Auto verlassen auf dem Parkplatz stehen. »Dein Auto«, sagte er, eher eine Feststellung als eine Frage.
»Ich komme morgen mit dem Zug her.« Das war alles; kein Aufhebens.
Als wir auf dem Land waren, bat ich ihn, das Dach zu öffnen. Er schob es zurück, ohne anzuhalten. Ich lehnte meinen Kopf an seine Schulter, er legte seinen Arm um mich und strich mit der Hand über meinen nackten Arm, während ich die Platanen über uns vorbeiziehen sah.
Als wir die Brücke über den Tarn in den Ort überquerten, setzte ich mich aufrecht hin. Sogar um drei Uhr morgens schien etwas Anstand angebracht. Jean-Paul hatte eine Wohnung am anderen Ende der Stadt, da, wo das offene Land anfing. Trotzdem waren es von meinem Haus aus nur zehn Minuten zu Fuß, ein Gedanke, den ich nach Kräften zu verdrängen versuchte.
Wir parkten, stiegen aus und rollten das Dach gemeinsam wieder zu. Die Häuser in der Umgebung waren dunkel und hatten die Fensterläden geschlossen. Ich folgte ihm eine Treppe, die außen am Haus emporführte, hinauf bis zu seiner Tür. Wir traten ein, und er knipste das Licht an. Das Zimmer, in dem wir standen, war sehr ordentlich, die Wände voller Bücher.
Er drehte sich um und streckte die Hand nach mir aus. Ich schluckte; mein Hals war wie zugeschnürt. Jetzt, da es soweit war, hatte ich Angst.
Als ich schließlich seine Hand nahm und ihn an mich zog, meine Arme um ihn schlang und mein Gesicht an seinem Hals vergrub, verschwand die Angst.
Das Schlafzimmer war spärlich möbliert, enthielt aber das größte Bett, das ich je gesehen hatte. Ein Fenster ging auf die Felder hinaus; ich hielt ihn davon ab, die Läden zu schließen.
Es war wie eine einzige lange Bewegung. Zu keiner Zeit dachte ich, nun tue ich dies, nun macht er das. Es gab keine Gedanken, nur zwei Körper, die sich erkannten, die zusammen zu einem wurden.
Wir schliefen nicht, bis
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