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Das dunkelste Blau

Das dunkelste Blau

Titel: Das dunkelste Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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Ella.« Er legte auf.
    Ich wartete ein paar Minuten, während der mir ganz übel war, um sicherzugehen, daß er nicht noch mal anrief.
    Im Auto sagte ich mir alle paar Minuten, du kannst umkehren, Ella. Du mußt das nicht tun. Du kannst den ganzen Weg dorthin fahren, parken, zur Tür von Was-auch-immer gehen, und umkehren. Du kannst ihn treffen und Zeit mit ihm verbringen und das Ganze kann völlig harmlos sein, und du kommst rein und unbefleckt zurück.
    Lavaur war eine Domstadt, die ungefähr dreimal so groß war wie Lisle-sur-Tarn, mit einem alten Marktplatz und einem Hauch von Nachtleben: eine kleine Ansammlung von Restaurants, ein paar Bars. Ich parkte neben dem Dom, einem klobigen Ziegelbau mit einem achteckigen Turm, und ging zu Fuß in die Altstadt. Trotz des verlockenden Nachtlebens war niemand auf der Straße; alle Fensterläden waren geschlossen, alle Lichter aus.
    Die angegebene Adresse war kaum zu verfehlen: Ein schrilles Neonschild zeigte den Eingang zu einer Kneipe an. Der Eingang war in einem Seitengäßchen, die Läden der Fenster nebenan waren mit etwas bemalt, das wie gesichtslose Soldaten aussah, die eine Frau in einem langen Gewand bewachten. Ich blieb stehen und sah mir die Läden genauer an. Das Bild ging mir auf die Nerven; ich eilte hinein.
    Der Kontrast zwischen draußen und drinnen hätte nicht größer sein können.Es war eine kleine Bar, sie war schwach beleuchtet, laut, voll und verraucht. Die wenigen französischen Kleinstadt-Bars, in die ich je einen Fuß gesetzt hatte, waren meistens unangenehm, ausschließlich von Männern bevölkert und nicht besonders einladend. Dies hier war wie ein Lichtstrahl in der Dunkelheit. Es war so unerwartet, daß ich fasziniert in der Tür stehenblieb.
    Direkt vor mir sang eine auffällige Frau in Jeans und einer dunkelbraunen Seidenbluse ›Every Time We Say Goodbye‹ mit starkem französischen Akzent. Und obwohl er mir den Rücken zugekehrt hatte, wußte ich sofort, daß es Jean-Paul war, der über das weiße Klavier gebeugt saß und sein weiches blaues Hemd trug. Meist hatte er die Augen auf seine Hände gerichtet und sah nur ab und zu zur Sängerin hin. Er hatte einen konzentrierten, aber heiteren Gesichtsausdruck.
    Hinter mir kamen Leute herein und zwangen mich, in die Menge zu treten. Ich konnte meine Augen nicht von Jean-Paul wenden. Als der Song zu Ende war, gab es Rufe und langes Klatschen. Jean-Paul sah sich um, bemerkte mich und lächelte. Ein Mann rechts von mir klopfte mir auf die Schulter: »Paß bloß auf – das ist ein Wolf, der da!« rief er und lachte, während er zum Klavier hin nickte. Ich wurde rot und wandte mich ab. Als Jean-Paul und die Frau einen neuen Song anfingen, drängte ich mich in Richtung Bar durch die Menge und fand erstaunlicherweise einen freien Hocker.
    Die olivfarbene Haut der Sängerin schien von innen zu leuchten,ihre dunklen Augenbrauen waren perfekt geformt. Ihr langes braunes Haar war lockig und wild, und beim Singen lenkte sie die Blicke darauf, indem sie mit den Fingern hindurchfuhr, den Kopf nach hinten warf und die Handgelenke an die Schläfen drückte, wenn sie eine hohe Note sang. Jean-Paul war weniger exaltiert; seine ruhige Präsenz glich ihr theatralisches Auftreten aus, sein Spiel unterstrich ihre kraftvolle Stimme. Sie waren gut zusammen – entspannt, selbstbewußt genug, um auch herumzuspielen und sich gegenseitig zu necken. Ich spürte einen kleinen Stich der Eifersucht.
    Zwei Songs später machten sie eine Pause, und Jean-Paul bewegte sich in meine Richtung, blieb aber bei jeder zweiten Person kurz stehen und redete mit ihr. Ich zupfte nervös an meinem Kleid herum und wünschte plötzlich, daß es bis über die Knie reichte.
    Als er schließlich bei mir ankam, sagte er » Salut, Ella«, und küßte mich auf beide Wangen, wie er das bei zehn anderen Leuten auch getan hatte. Ich wurde ruhiger, erleichtert, aber doch leicht ungehalten, daß er mir keine besondere Aufmerksamkeit widmete. Was willst du eigentlich, Ella? fragte ich mich wütend. Jean-Paul mußte die Verwirrung in meinem Gesicht gesehen haben. »Komm, ich stell dich ein paar Freunden vor«, sagte er.
    Ich rutschte vom Stuhl und nahm mein Bier, wartete dann, bis er vom Barkeeper einen Whiskey bekam. Er zeigte auf einen Tisch auf der anderen Seite des Raumes und legte seine Hand auf meinen Rücken, während wir uns durch die Menge schoben; als wir seine Freunde erreichten, ließ er sie fallen.
    Sechs Leute, einschließlich der

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