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Das dunkelste Blau

Das dunkelste Blau

Titel: Das dunkelste Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tracy Chevalier
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mit Pfirsichen gelehnt hatte. Eine Frau, die jünger war als ich und dunkle, lockige Haare hatte, war über das Spülbecken gebeugt und schrubbte eine Pfanne. Sie drehte sich um, als ich hereinkam, und ich wußte sofort, daß sie mit Jacob verwandt sein mußte: Sie hatte das gleiche hagere Gesicht und spitze Kinn, das durch die Locken auf ihrer Stirn und die langen Wimpern um die braunen Augen herum weicher erschien. Sie war größer als ichund sehr schmal, mit langen dünnen Händen und zarten Handgelenken.
    »Ah, Ella, da bist du ja«, sagte Jacob, als die Frau mich dreimal küßte. »Das ist meine Tochter Susanne.«
    Ich lächelte sie an. »Tut mir leid«, sagte ich zu den beiden. »Ich habe nicht gemerkt, daß es schon so spät war. Ich weiß gar nicht, was mit mir los war.«
    »Das macht doch nichts. Du hast Schlaf gebraucht. Willst du jetzt etwas essen?« Jacob zog einen Stuhl für mich heran. Dann stellten er und Susanne Käse und Salami, Brot, Oliven und Salat auf den Tisch. Das war genau das, was ich wollte, etwas Einfaches. Ich wollte nicht, daß sie sich wegen mir besondere Umstände machten.
    Beim Essen sprachen wir wenig. Susanne fragte mich in einem Französisch, das so klar war wie das ihres Vaters, ob ich etwas Wein wollte, Jacob machte eine Bemerkung über den Käse, aber ansonsten schwiegen wir.
    Als wir unsere Teller wegschoben und Jacob mir nochmals eingeschenkt hatte, schlüpfte Susanne aus dem Zimmer. »Fühlst du dich jetzt besser?« fragte er.
    »Ja.«
    Aus einem anderen Zimmer kam eine zarte Musik. Jacob horchte kurz. »Scarlatti«, sagte er mit sichtlicher Freude. »Susanne studiert Cembalo beim Concertgebouw in Amsterdam, weißt du.«
    »Bist du auch Musiker?«
    Er nickte. »Ich unterrichtete hier an der Musikschule, gleich oben am Berg.« Er zeigte hinter sich.
    »Was spielst du?«
    »Verschiedenes, aber ich unterrichte hauptsächlich Klavier und Flöte. Die Jungen wollen alle Gitarre spielen, die Mädchen Flöte, viele auch die Violine oder die Blockflöte. Ein paar Klavier.«
    »Sind die Schüler gut?«
    Er zuckte die Achseln. »Die meisten nehmen Unterricht, weil ihre Eltern das wollen. Sie haben auch andere Interessen, Reiten oder Fußball oder Skifahren. Jeden Winter brechen sich vier oder fünf Kinder die Arme beim Skifahren und können nicht spielen. Es gibt einen Jungen, der sehr gut Klavier spielt, vor allem Bach. Er wird vielleicht weitermachen und woanders studieren.«
    »Hat Susanne bei dir gelernt?«
    Er schüttelte den Kopf. »Bei meiner Frau.«
    Mein Vater hatte mir erzählt, daß Jacobs Frau tot war, aber ich erinnerte mich nicht, wie lange das her war, oder an die genaueren Umstände.
    »Krebs«, sagte er, als hätte ich laut gefragt. »Sie ist vor fünf Jahren gestorben.«
    »Das tut mir leid«, sagte ich. Ich fühlte, wie unzulänglich das klang, und fügte hinzu: »Du vermißt sie noch, nicht?«
    Er lächelte traurig. »Natürlich. Bist du auch verheiratet?«
    »Ja«, erwiderte ich unbehaglich und wechselte das Thema. »Möchtest du die Bibel jetzt sehen?«
    »Warten wir bis morgen, wenn das Licht besser ist. Nun, du siehst besser aus, aber du bist immer noch blaß. Bist du vielleicht schwanger?«
    Ich zuckte zusammen, erstaunt, daß er mich so nebenbei gefragt hatte. »Nein, nein, das bin ich nicht. Ich – ich weiß nicht, warum ich ohnmächtig geworden bin, aber das ist es nicht. Ich habe in den letzten Monaten nicht besonders gut geschlafen. Und letzte Nacht kaum.« Ich hielt inne, erinnerte mich an Jean-Pauls Bett und schüttelte langsam den Kopf. Es war unmöglich, ihm meine Situation zu beschreiben.
    Jacob merkte wohl, daß wir uns auf gefährliches Terrain begeben hatten, und rettete uns, indem er das Thema wechselte.
    »Was machst du beruflich?«
    »Ich bin, na ja, ich war Hebamme, in Amerika.«
    »Wirklich?« Er strahlte. »Was für eine wundervolle Arbeit!«
    Ich betrachtete die Pfirsiche und lächelte. Seine Antwort war der von Madame Sentier so ähnlich.
    »Ja«, sagte ich. »Es war ein schöner Beruf.«
    »Also würdest du natürlich wissen, wenn du schwanger wärst.«
    Ich kicherte. »Ja, ich denke schon.« Ich wußte fast immer, wenn eine Frau schwanger war, auch schon ganz früh. Ich sah es an ihrer bedächtigen Haltung; der Körper war wie Folie um etwas gewickelt, von dem sie noch nicht einmal wußte, daß sie es trug. Das hatte ich zum Beispiel an Susanne gesehen: ein gewisser verstörter Ausdruck in ihren Augen, als ob sie einem Gespräch tief in

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